Kreis Bad Duerkheim „AfD macht die beste Kampagne“

Albrecht Müller, hier beim RHEINPFALZ-Interview in seinem Garten in Pleisweiler, würde sich einen konfrontativeren Wahlkampf wün
Albrecht Müller, hier beim RHEINPFALZ-Interview in seinem Garten in Pleisweiler, würde sich einen konfrontativeren Wahlkampf wünschen.
Herr Müller, derzeit hat die SPD in Umfragen rund 15 Prozent Rückstand auf die Union. Nach Ihren Erfahrungen als Wahlkampfmanager von Willy Brandt 1972: Kann eine kluge Kampagne diesen Rückstand in den verbleibenden gut drei Wochen noch aufholen?

Das ist sehr schwierig in einer Endphase, weil jede Änderung in einer Kampagne glaubwürdig sein muss. Ein Beispiel: Wenn man so wie die SPD bisher nichts getan hat, um das alte, große Pfund, die Entspannungspolitik, die Frieden in Europa gebracht hat, zum Thema zu machen, schafft man es auch nicht auf den letzten Metern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kann nicht ins Baltikum fahren und ein paar Sprüche machen, die als anti-russisch aufgefasst werden, und glauben, dass Martin Schulz am nächsten Tag sagen kann, man werde Friede machen mit Russland. Das ist absurd. Wenn Sie den aktuellen Wahlkampf bewerten: Welche Partei fährt die beste Kampagne? Ganz klar die AfD. Warum? Ich habe ja keine Sympathie für diese Partei. Aber allein ihr Name ist gut. Viele Menschen wollen eine Alternative zu Frau Merkel, Konservative als auch Linke. Und die AfD hat erkannt, dass es bei einem erfolgreichen Wahlkampf vor allem auf die Wechselwähler und die Protestwähler ankommt. Die müssen aber eine gewisse Barriere überwinden. Deshalb ist der Slogan „Trau dich“ ziemlich genial. Man muss sich die Leute an ihren Wohnzimmertischen vorstellen, wenn sie ihre Briefwahlunterlagen ausfüllen. Die denken: Ja, ich trau mich. Wird aus dem Ankreuzen eines Wahlzettels mit dieser Taktik der AfD ein Akt der Selbstbehauptung gegen das sogenannte Establishment? Ich will die Partei keinesfalls loben, aber ich habe als ehemaliger Wahlkampfmanager Respekt vor dieser strategischen Leistung. Wie wichtig ist der Spitzenkandidat für eine Kampagne und was muss er oder sie tun, um die Menschen von sich zu überzeugen? Eine Partei muss darauf achten, dass der Kandidat telegen und sympathisch ist. Ist er das nicht, lässt sich das nur mit einer ganz großen inhaltlichen Überzeugungskraft wettmachen. Das heißt, ein Spitzenkandidat sollte gut aussehen. Er sollte zumindest eckig und kantig sein, ein Merkmal haben, an dem man ihn wiedererkennt. Zu Ihrer Zeit als Planungschef im Kanzleramt gab es noch kein Internet. Was, glauben Sie, sind heute die wichtigsten Bausteine einer erfolgreichen Kampagne: Facebook und Twitter, das Fernsehen oder doch die Haustürbesuche mit den obligatorischen Kugelschreibern? Hausbesuche sind unglaublich wichtig. Noch wichtiger ist es dann aber, dass diejenigen, die an den Haustüren klopfen, Argumente haben. Wenn die Politiker aber hingehen zu den Menschen und sagen, uns geht’s doch allen gut, dann funktioniert das nicht. 1972 war die Ostpolitik eines der großen Wahlkampfthemen. Viele Menschen, die vorher noch nie SPD gewählt hatten, gaben deshalb ihre Stimme Willy Brandt. Sehen Sie in diesem Jahr ein ähnlich überwölbendes Thema? Die Flüchtlingsfrage spielt natürlich eine große Rolle. Und an ihr zeigt sich auch, wie kopflos viele Parteien agieren. Man muss doch Verständnis für die Leute aufbringen, die Angst haben, dass sie hinten runterfallen. Denn viele glauben, dass ihr Wohnraum und ihr Arbeitsplatz gefährdet werden von den Flüchtlingen, und dass sich die Multi-Kulti-Mittelschicht um alles kümmert, nur nicht um sie. Ich bin sicher, dass es möglich gewesen wäre, die Ängste vieler Menschen zu dämpfen, wenn die Politik auch für sie etwas getan hätte. Noch schlimmer ist jedoch, dass kaum einer über die Ursachen der Flüchtlingskrise redet. Die Leute kommen doch nicht zum Spaß zu uns. Sie kommen, weil die Kriege ihre Heimat zerstört haben. Und die meisten Kriege werden vom Westen geführt. Wir sind also selbst Teil der Flüchtlingsursachen. Im Wahlkampf 1972 waren Hunderttausende Menschen politisiert. Glauben Sie, dass eine Bewegung wie damals wieder möglich wäre? Natürlich haben die Leute damals gemerkt, dass Brandt ein sehr humaner Typ ist, der es gut mit uns meint. Als sein Mitarbeiter habe ich von ihm nie ein böses Wort gehört. Aber auch die Inhalte zur Mobilisierung haben eine ganz große Rolle gespielt. Ein Beispiel: Als Student lebte ich in München in einer ganz kleinen Bude unterm Dach, nebenan wohnte eine alleinerziehende Frau mit ihrem Sohn und einem Dackel. Das war eine ganz arme Frau, Putzfrau, sie hatte schlechte Zähne, sie war ganz unten. In Wahlkämpfen habe ich oft an sie gedacht und mir gesagt, dass wir mit unserer Politik auch diese Menschen erreichen müssen, denen es sauschlecht geht. Das haben wir versucht. Und siehe da: Auch diese Leute sind zur Wahl gegangen. Die Wahlbeteiligung lag bei über 91 Prozent. 1972 gab es noch festgefügte Milieus: Gläubige Menschen auf dem Land wählten die Union, Arbeiter in den Industriestädten die Sozialdemokraten. Heute entscheiden sich die Wähler spät und nicht nach der Zugehörigkeit zu einer Schicht oder Klasse, wie das einst hieß. Was bedeutet das für die Macher einer Wahlkampagne? Als ich in die Südpfalz kam, um für den Bundestag zu kandidieren, wusste ich: Neuburg, das ist evangelisch, da gibt es eine Chance für mich. In Eschbach sah das schon anders aus. Das ist in der Tat heute anders. Also muss ich als Wahlkampfmacher nach einem Programm suchen, das auch bei einer Mehrheit der Wechselwähler ankommt, ich muss einen gemeinsamen thematischen Nenner finden. Viele haben beispielsweise die Sorge, dass ihre Kinder keinen Job kriegen oder nur befristete Verträge. Also muss ich diese Sorge aufnehmen und ansprechen. Andere haben Angst vorm Krieg. Daraus würde ich ein ganz großes Thema machen, über den Frieden in Europa. Ihr Slogan auf den Willy-Plakaten von 1972 lautete: Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land. Klingt ein bisschen nach AfD. Wir haben damals überlegt, wie wir an die Konservativen rankommen. Es gibt eben Leute, die stolz sind, etwa auf ihren Fußballverein, da kann ich doch nicht drüber hinweggehen wie ein Rasenmäher. Unsere Agentur hat damals das Plakat entworfen, aber es stand zunächst etwas anderes darauf: Deutsche, ihr könnt stolz sein auf Willy Brandt. Damit sind wir dann in sein Büro gegangen, und Brandt sagte, das sei unmöglich, das könnten wir doch nicht machen. Er hat dann spontan den von Ihnen genannten Spruch entwickelt. Da sehen Sie, wie Slogans entstehen können. |

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