Kaiserslautern Vorne hui, hinten pfui

Am 1. August 1914 hat das Deutsche Kaiserreich Russland den Krieg erklärt. Vorausgegangen war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo in Serbien. Daraufhin erklärte Österreich-Ungarn einen Monat später, am 28. Juli 1914, Serbien den Krieg. Die Stimmung im Deutschen Reich war seit Jahren so aufgeheizt, dass man dem Kriegsbeitritt entgegen fieberte. Am 2. August 1914 verlas der stell-vertretende Bezirksamtmann auf der Treppe des alten Bezirksamts am Fackel Thor, dem späteren Fackelrondell, die kaiserliche Mobilmachung. Eine Kriegserklärung folgte der anderen: Deutschland erklärte Frankreich und Belgien am 3. August 1914 den Krieg, England am 4. August. Serbien erklärte am 6. August dem Deutschen Reich den Krieg, Frankreich schickte am 13. August eine Depesche mit der Kriegserklärung an Österreich-Ungarn und Japan am 23. August eine Kriegserklärung an das Deutsche Reich. Weitere Kriegserklärungen folgten dann noch 1915 und 1916. Schließlich erklärten die USA am 6. April 1917 dem Deutschen Reich den Krieg. Das war Weltkrieg. Und der Lauf der Weltgeschichte hatte Lautern längst erreicht. In einer kleinen Serie sollen die Kaiserslauterer Vorkriegsjahre, die Kriegsjahre und die Jahre danach dargestellt werden. Um Stimmungsbilder, soziale Verhältnisse, die Stadtentwicklung, die lokalen Einschätzungen und Entwicklungen der Ereignisse aufzuzeigen und verstehen zu können, startet die Reihe mit dem Jahr 1904, zehn Jahre vor Kriegsbeginn. Kaiserslautern schien schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner Fortentwicklung eine Pause zu machen. Die Stadt hatte sich unter bayerischem Einfluss prächtig entwickelt. Kaiserslautern war wunderschön. Reich gegliederte Fassaden, hinter denen reiche Leute wohnten, schmückten die Innenstadt, und es gab Geschäfte in einer Vielfalt, dass die Pfalz in Lautern einkaufte. Hauptsächlich im nördlichen Stadtteil war ein Villenviertel entstanden vom Benzinoring bis zu den Villen einiger Fabrikbesitzer entlang der heutigen Lauterstraße. Es hatte sich nach den Gründerjahren der Industrie eine gewisse Selbstzufriedenheit breit gemacht. Die Situation hatte zwei Seiten, die sich drastisch voneinander unterschieden. Selbstzufriedenes „besseres Bürgertum“, wie man zu sagen pflegte, und Arbeiterelend, Wohnungsnot, Krankheit und sozialer Zerfall markieren die Vorkriegszeit, die Kriegszeit und viele Jahre danach. Wenn man durch die Stadt geht entdeckt man hinter den schmucken Fassaden der Bürger- und Geschäftshäuser ärmliche, abbruchreife Behausungen, bewohnt von Menschen, die sich täglich 14 Stunden um ihr täglich Brot mühten. Schwerpunkte dieser Art hatten sich im Stadtquartier nördlich der Fruchthalle und auch in der Stadtmitte gebildet. Vor, während und nach dem Krieg wucherte die Stadt nach Westen und Osten unkontrolliert aus mit Bretterbuden, Nissenhütten und Notunterkünften. Trotzdem gab es in der Vorkriegszeit noch einige erwähnenswerte Projekte: Eine Kaserne wurde 1912 gebaut, weil Lautern glaubte, Garnisonsstadt zu werden. Die Kaserne wurde später 23er Kaserne genannt und − welche Ironie −, Stadtbaumeister Hermann Hussong richtete nicht weit davon, ebenfalls 1912, den größten Waldfriedhof Deutschlands ein. Schon 1906 wurde bei der Eisenbahnstraße das höchste Wohnhaus der Stadt, die „Wartburg“ gebaut. Der erste Straßenbahnwagen kam im Kriegsjahr 1914. Die Stadt baute das Waschmühlbad noch vor dem Krieg, und die königliche Strafanstalt samt Zuchthaus wurde aufgegeben. Das gesellschaftliche Leben war vor dem Krieg für die, die es sich leisten konnten, nobel, Ball um Ball, Fest um Fest. Kurz vor Kriegsbeginn dann Registrierung „verdächtiger möglicher Feindstaaten“, Denunziation, Verleumdung und anonyme Anzeigen, während des Kriegs dann Hungermarsch zum Stiftsplatz, Lebensmittelmangel und Registrierung der Gefallenen. Nach dem Krieg erlebte die Stadt trotz zunehmender Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit vor allem einen städtebaulichen Aufschwung. Es entstanden neue Stadtviertel, die Kaiserslautern heute noch prägen. Und dann füllten die Nazis 1926 erstmals die Fruchthalle.

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