Kaiserslautern Schlicht und ausverkauft

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Wie sich alles wandelt, wandelt sich auch die Oper. Schneller als Regisseure ihre Arbeit erdacht haben, ist sie wieder abgespielt. Neues muss her. Alte Inszenierungen dagegen sind seltene Zeugen eines früheren Aufführungsdenkens. Etwas Staub muss der Zuschauer dabei schon vertragen. Ein Beispiel aus Mannheim.

Eigentlich ist Wolfgang Piel seit 14 Jahren in Rente. Doch wenn Richard Wagners „Parsifal“ gespielt wird, arbeitet er – freiwillig. Piel ist 79 Jahre alt, kam 1960 ans Nationaltheater: als Seitenmeister, der hinter der Bühne dafür verantwortlich ist, dass alle Umbauten wie geplant funktionieren, dass technisch nichts hakt. Als Piel anfing, in Mannheim zu arbeiten, wurde die „Parsifal“-Inszenierung des Regisseurs Hans Schüler bereits seit drei Jahren gespielt. Sie ist, mit ihrem 60. Geburtstag im kommenden Jahr, die weltweit älteste, noch laufende Inszenierung des Bühnenweihfestspiels – so nannte es Wagner –, das ohnehin ein Wunderding ist. Unter fünf Stunden kommt niemand aus dem Opernhaus wieder heraus; es sei denn, er kapituliert bereits in einer der zwei Pausen, was einem echten Wagnerianer niemals passieren würde und auch der wunderbaren Musik wegen nicht empfehlenswert ist. Der Inhalt orientiert sich an der mittelalterlichen Gralssage des Wolfram von Eschenbach. Im Mittelpunkt steht Parsifal selbst, als Retter der Gralsgemeinschaft – einer religiösen Vereinigung. Die Aufführung in Mannheim – traditionell jedes Jahr an Karfreitag, dieses Jahr zusätzlich an Himmelfahrt – ist ein Ereignis. Noch passender wäre das moderne Wort „Event“. Auch wenn der Pilgerchor eigentlich in Wagners „Tannhäuser“ gehört und nicht in den „Parsifal“, so würde er bestens passen, an jenem besonderen Tag vorm Nationaltheater. Sie pilgern. Die Wagnerianer. Nach Mannheim. In edlem Schwarz gekleidet. Auch aus dem europäischen Ausland kommend. In der Pause picknicken sie traditionell an ihren Autos. Ob Regen oder nicht, wird dem Kofferraum kulinarisch Feines entnommen. Vorbild dafür ist der Grüne Hügel in Bayreuth, wo bei den dortigen Festspielen die Pausen ebenso zelebriert werden. Zurück zu einem grünen Hügel in Mannheim, der Teil des „Parsifal“- Bühnenbilds ist. Unterwegs mit Wolfgang Piel hinter der Bühne, kurz vor Aufführungsbeginn. Die Musik begeistere ihn, sagt der grauhaarige Mann, und führt mit jedem Schritt schlüsselklappernd durch die bereitgestellten Bühnenelemente. Vieles sind Originalteile. Etwa die Kirchenbänke, die Piel und seine Kollegen während das Orchester spielt in kurzer Zeit auf die Bühne tragen müssen. Abgesessen und fleckig sind die Sitzpolster des Relikts von 1957. Sieht aber niemand aus der Entfernung des Zuschauerraums. Irgendwann sei mal das Bodentuch erneuert worden. Ansonsten zeugt vieles von der Vergangenheit. Der Gralskelch wird zwischen den Aufführung übrigens in den Reiss-Engelhorn-Museen aufbewahrt. Museumsstück. Wie sprechend, wie passend. Die ganze Aufführung ist museal, aus der Zeit eines anderen Aufführungsdenkens, anderer Theaterästhetik. Etwas beinahe Meditatives hat es, in medienschnelligkeitgetriebener Zeit auf diese Bühne zu schauen, wo uns Sänger, beinahe starr stehend, frontal ansingen. Requisiten gibt es kaum. Hier konzentriert sich alles auf Musik und Text; was wir kaum noch gewöhnt sind zwischen effektgeladenen Bühnenbildern und bedeutungsschwangeren Interpretationen. Es ist ein bisschen wie eine Fastenkur: reinigend, intensiv, anstrengend. Vielleicht wirkt der volltönende Männerchor im letzten Akt so packend, weil wir nicht aus allen Richtungen reizüberflutet werden. In der Kostümabteilung ist man stolz auf diese Inszenierung. Auch die Kleidungsstücke seien zum größten Teil noch original. Bald 60 Jahre alt, wie etwa das Ledergewand des Parsifal, sagt Gewandmeister Heinz-Jürgen Walther. Bei einem Besuch an seinem Arbeitsplatz zeigt er auf die Stücke. „Das ist schon toll, wenn man weiß, wer das schon alles anhatte“, sagt er: René Kollo etwa. Walther spricht von „Ehrfurcht“. Opernkostüme hätten sich über die Zeit gewandelt – entsprechend den Inszenierungen. Heutzutage sei häufig Alltagskleidung gefragt, Anzüge für die Herren etwa. Dass sich die „Parsifal“-Kostüme so gut gehalten haben, liege auch an der Inszenierung, die eben kaum Bewegung zulässt, daher gibt es kaum Abnutzung. Wenn doch mal etwas kaputt geht, werde es ersetzt. Doch es ist nicht einfach, die alten Stoffe zu bekommen. Dass wiederum die Stoffe nach knapp 60 Jahren alt aussehen sei eher Vor- als Nachteil: So erscheinen sie für den Zuschauer authentisch. „Die Inszenierung tut niemandem weh. Sie stellt keine Fragen“, sagt Operndirektor Klaus-Peter Kehr, nach dem Erfolgsgrund gefragt. Kaum ein Theater spielt heute noch so alte Deutungen. Vor jeder Aufführung gibt es neue szenische Proben. Schließlich ändert sich die Besetzung. Um sich möglichst originaltgetreu an 1957 zu orientieren, gibt es das Regiebuch mit Anmerkungen. Sobald es technisch möglich war, wurden Videoaufnahmen gemacht, erklärt Kehr, um zu wissen, wer wann was tun soll. Den Regisseur kann niemand mehr fragen: Hans Schüler starb 1963. Der Karfreitags-„Parsifal“ ist regelmäßig Monate im Voraus ausverkauft. Wenn’s doch so gut läuft, warum wird er dann so selten gezeigt? „Sonst würde es den Kultcharakter und das Gottesdienst-Ähnliche nicht mehr geben“, sagt Kehr. Im Übrigen spielt auch ein großer Teil der Handlung an Karfreitag. Und die Zukunftsperspektive? „So lange die Stadt Mannheim dieses Theater unterhält, wird es diese Inszenierung geben“, mutmaßt Kehr lächelnd. Am Abend der Aufführung 2016 steht eine ältere Dame an der Kasse. Sie möchte Karten vorbestellen. Für den „Parsifal“ 2017. Termin —„Parsifal“, Nationaltheater Mannheim am 5. Mai, 17 Uhr. Wenige Restkarten erhältlich. — www.nationaltheater-mannheim.de

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