Kaiserslautern Paris, Athen, auf Wiedersehen

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Für seinen reportagehaften St. Pauli-Roman „Der goldene Handschuh“ wurde Heinz Strunk gefeiert. Mit seinem neuen Buch „Jürgen“ ist der Erfolgsautor wieder auf Normalmaß zurückgestutzt

Jürgen Dose ist, um in seinem herzlich rauen Jargon zu bleiben, „ein ganz armer Willi“. Sozial und mental ganz unten, lebensuntüchtig, picklig und multipel malade, aber immer für einen fröhlichen Spruch zu haben: „Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht“. Und: „Wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, mach Limonade daraus“. Der Enddreißiger arbeitet als Pförtner in einem Parkhaus. In seiner kleinen Wohnung wird er von seiner pflegebedürftigen Mutter terrorisiert, Freunde hat er nicht, außer Bernd, Rollstuhlfahrer und Meister der Kaltakquise. Die beiden haben bei den Frauen keinen Schlag, aber jede Menge toller Ideen, ihr Recht auf Liebe zu erzwingen. Sie probieren es mit Online- und Speed-Dating und lassen sich von der Partneragentur Eurolove des schmierigen Sprücheklopfers Schindelmeister nach Polen karren, wo angeblich attraktive, willige Frauen auf Westmänner wie Jürgen und Bernd warten. Strunks Konzept ist schlicht und klar: Man nehme zwei erbarmungswürdige Loser, ein bisschen schmuddelig vielleicht und hanebüchen sexistisch, aber durchaus sympathisch, und lasse sie bei der Suche nach einem mitfühlenden Herzen auf Grund laufen. Zwei arme, sehnsuchtskranke, liebesbedürftige Willis aus den tristesten Ecken von Hamburg-Harburg. In dieser Gegend treffen sich die Männer zum Trinken, „Sabbeln“ und Pläneschmieden noch in Kneipen und Imbissstuben, die so verlockende Namen wie „Genießertreff“, „Futterkrippe“ oder „Kamin 21“ tragen und wo die „Bulgarische Restepfanne“ zu den Highlights der Speisekarte gehört. In seinem 400.000 Mal verkauften Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ hatte Strunks Alter Ego samt Mutterdrachen schon einmal einen Auftritt, damals noch als Tanzmusiker auf den Schützenfesten der achtziger Jahre. In „Der goldene Handschuh“ rang Strunk dem Kiez der Alkoholiker und Abgehängten dann seine tragikomische Ballade um den Serienmörder Fritz Honka ab. Kritik und Publikum waren begeistert, das Schmuddelkind wurde vom Feuilleton adoptiert und mit Preisen überhäuft. Jetzt ist Heinz Strunk wieder auf Normalmaß zurückgestutzt, also ziemlich weit unten: Jürgen Dose, bekannt aus alten Strunk-Hörspielen und Fernsehshows, mag eine kabarettreife Kunstfigur sein, aber als tragischer Held oder gar Größe der E-Literatur taugt er nicht. Natürlich ist es oft zum Schmunzeln, wenn der Parkwächter sich aus Flirt-Ratgebern und Aufreißerfibeln wie „Mission Traumfrau“, „Die geheimen Rezepte erfolgreicher Frauenflüsterer“, „So kannst du jede kriegen“ oder auch Jürgen Höllers Motivationspredigt „Sprenge deine Grenzen“ Theorien und Taktiken für den Umgang mit dem „schwachen Geschlecht“ ableitet, die in der Praxis jämmerlich scheitern. Jürgen, von Natur aus eher schüchtern und aus Erfahrung leidlich klug, lässt es meistens gar nicht so weit kommen, aber der notgeile Draufgänger Bernd lässt kein Fettnäpfchen und keinen Korb aus, um als Hahn sein Gefieder spreizen zu können. Die beiden Möchtegern-Casanovas bieten ungefähr das, was früher einmal die Tagträumer und Trinker von Heino Jaeger, Eckhard Henscheid, Helge Schneider oder auch Gerhard Polt boten: Ungestillte Kindersehnsüchte erwachsener Männer, exakt gezeichnete Milieus, landsmannschaftlich (in diesem Falle hanseatisch) gefärbter Humor, altväterliche Sprüche für alle Lebenslagen. Wenn der Kavalier das Lokal formvollendet vor der Dame betritt, frotzelt er galant: „Ladies first, James Last“, wenn er sich verdrückt, sagt der Scherzkeks „Paris, Athen, auf Wiedersehen“ oder „Lieber Nürburgring als Ehering“. Männer schmachten „dralle Braten“ und „Augenpralinen“ an und äußern sich von oben herab über Mauerblümchen und Sabberschnecken, und das kontrastiert natürlich heftig mit dem Vokabular der Flirtfachliteratur: hypnotisches Zuhören, Blinzelrate beobachten, Passivausstrahlung kontrollieren, kontaktaufbauende Aussage, High-Power-Posen. Strunk, bekannt als Stimmenimitator auf der Bühne und im Rundfunk, kann dem Volk genau aufs Maul schauen. Allerdings fragt man sich manchmal schon, in welcher Epoche er eigentlich lebt: Es sind eher die siebziger und achtziger Jahre als die Gegenwart, und was er beschreibt, hat eher mit Klimbim-Comedy oder einer Unterschichtenvariante von Loriots „Ödipussi“ als mit sozialer Realität von heute zu tun. Solange es um zwischenmenschliche Beziehungen, lustige Anekdoten und die Alltagskomödien des Scheiterns geht, fällt das nicht weiter auf, aber wenn er sich an melancholischen Stimmungen oder gar erotischen Szenen versucht, wird es schnell peinlich. „Jürgen“ ist gute Unterhaltung für Damenkränzchen und Junggesellenabschiede, aber als Schicksalstragödie doch zu schlicht. Dem Erfolg des Romans wird das wohl keinen Abbruch tun: Eine Fernsehfassung mit Heinz Strunk als Jürgen und Charly Hübner als Bernd ist unter dem Arbeitstitel „Arme Ritter“ bereits in der Mache. Lesezeichen Heinz Strunk: „Jürgen“. Rowohlt Verlag. Hamburg, 256 Seiten, 19,95 Euro

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