Kaiserslautern Mal leicht, mal heiß, mal kalt

An der Gitarre liefert sich Ray Wilson (links) mit Ali Ferguson rasante Duelle.
An der Gitarre liefert sich Ray Wilson (links) mit Ali Ferguson rasante Duelle.

In Kooperation von SWR-Studio Kaiserslautern und Anders Welt Event gastierte am Samstagabend im ausverkauften Emmerich-Smola-Saal der Ex-Sänger von Genesis, Ray Wilson. Neben seinen eigenen Songs hatte der charismatische Ausnahmesänger auch Klassiker aus der Welt von Genesis sowie Solo-Hits von Peter Gabriel, Phil Collins und Mike Rutherford im Gepäck. Ein unvergesslicher Abend.

50 Jahre ist es her, dass die Super-Gruppe Genesis aus dem Ei schlüpfte. Und gleichzeitig ist das Jahr 1968 das Geburtsjahr von Ray Wilson, der allein mit dem letzten Genesis-Album „Calling All Stations“ das am viertbesten verkaufte Album der Bandgeschichte eingesungen hat. Wenn Ray Wilson seine Stimme erhebt, ist stets „Magic Time“; gleich ob er wehmütige Balladen anstimmt („Alone“ oder „Sarah“) oder die guten alten Zeiten rollen lässt („Another Day in Paradise“, „Carpet Crawlers“, „No Sonne of Mine“, Solsbury Hill“ und „Land of Confusion“). Inmitten einer immer garstiger werdenden Welt zaubert der Schotte mit großer Gelassenheit akustische Oasen hervor, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Ähnlich wie sein Genesis-Pendent Phil Collins versteht sich Wilson darauf, eine spannungsgeladene Stimmung aufzubauen, in die sich ein drohender Unterton einnistet. Im Gegensatz zu Collins jedoch fehlt ihm die rotzfreche und draufgängerische englische Art. Vielleicht deshalb hat man ihm die Schuld am Auseinanderfallen dieser Gruppe von Individualisten zugeschoben. Was aber nicht richtig ist. In seiner Stimme lodert der „Spirit“, der den Funken überspringen lässt. Der 50-Jährige bringt es fertig, in seinen Songs die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft einmalig zu mischen. Man fühlt sich mal schwer, mal leicht, mal heiß, mal kalt. Seine Stimme wirkt leicht verhangen. Zuweilen hat man den Eindruck, er habe eine Träne in der Stimme, dann wiederum, seine Stimmbänder leideten unter chronischer Entzündung und der schottische Whiskey habe an ihnen genagt. Seine facettenreiche Vier-Oktaven-Stimme klagt in schleppenden Molltönen, jubiliert im Falsett aus Freude am Leben und zerröchelt in Zerknirschung und Reue über verlorene Glücksmomente. An der Gitarre liefert er sich mit seinem Gitarristen Ali Ferguson rasante Saitensprünge und Duelle. Vor allem Ferguson ist ein Zauberer der Melodie. Er spielt gesangliche, wohltönende, runde Linien, die eine große dynamische Spannweite besitzen. Und seine schnellen Läufe fallen wie Kaskaden warmer, klarer Wassertropfen herunter. Er ergeht sich in funkelnden Verzierungen und rasanten Riffs oder erzeugt in der Art der Bottleneck-Gitarristen fließende Glissandi und schwirrende Vibrati. Einen unentwegt pulsenden Bass als Hauptschlagader für diese faszinierenden Klang-Konstruktionen legt Marcin Kajper an. Und wenn er zum Saxophon greift wie bei „Wait For Better Days“ oder „That`s All“, dann brennt die Luft, dann steigt das Stimmungsbarometer merklich an. Der Sound wächst empor zum Soundgebirge, wenn Michal Lyczek auf dem Keyboard mitreißende Klangflächen erzeugt oder mit einem verzerrten, am Gitarrenton von Jimi Hendrix orientierten Klang, die Töne effektvoll beugt und zieht, was er durch das Drehen eines Rades neben der Tastatur erreichte. Das erlaubt Tonnuancierungen, die kleiner und subtiler sind als die Halbtöne, die normalerweise auf der Tastatur verfügbar sind. Wuchtig und kommentierfreudig agiert Mariusz Koszel am Schlagzeug. Und trotzdem: Bei aller Qualität und Virtuosität gelang es der Band nicht, das Publikum mitzunehmen. Die Besucher hörten aufmerksam zu, aber die Stimmung wollte nicht zum Kochen kommen. Das lag mit daran, dass Ray Wilson die langen, hochgradig strukturierten Klanggespinste der Ur-Genesis-Band zurückdrängte und straffte. Man vermisste Improvisationsrisiken, ausgedehnte Gitarrensoli. Erst im zweiten Teil stieg die Stimmung und bei den drei Zugaben aus Wilsons „Stiftskin“-Zeit applaudierten die Besucher im Stehen.

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