Kaiserslautern Griff in die Pralinenschachtel

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Nach fünfjähriger Vorbereitungszeit ist die Barock-Ausstellung der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen (REM) in trockenen Tüchern. Im Museum Zeughaus warten rund 300 handverlesene Ausstellungsstücke auf den Besucher. Arbeiten zeitgenössischer Künstler, Hörbeispiele, Mitmachstationen und ein umfangreiches Begleitprogramm ergänzen den kaleidoskopisch angelegten 1200-Quadratmeter-Parcours. Und am offiziellen Eröffnungstag Sonntag wird vor dem Haus gleich noch ein Barockfest gefeiert.

Der Ausstellungstitel „Barock – nur schöner Schein?“ ist bewusst als Frage formuliert. Eine Frage zu stellen heißt natürlich auch, sie zu beantworten. Selbstverständlich glauben die Veranstalter, dass es beim „schönen Schein“ nicht sein Bewenden hat. Dass es sich um ein Klischee handelt, in dem exzessive Prachtentfaltung in Schlössern, Kirchen und Lebensstil, das Idealbild der gut im Fleisch stehenden Frau und eine heute kaum mehr vorstellbare, exzessiv gelebte Frömmigkeit die Hauptrolle spielen. Um dieser vorurteilsbehafteten Sicht nun abzuhelfen, hat man sich ein recht mutiges, ja cleveres Konzept ausgedacht. Es wird nicht die Epoche chronologisch abgearbeitet (was sowieso ein Ding der Unmöglichkeit wäre), sondern die Kuratoren handeln den großzügig gesehen auf 1580 bis 1770 eingegrenzten Zeitraum gleichsam schlaglichthaft anhand von sechs wiederum in sich vielfach gegliederten Leitthemen ab: „Raum“, „Körper“, „Wissen“, „Glaube“, „Ordnung“ und „Zeit“. Für den Aufbau der Ausstellung bedeutet das, dass dies nur in Gestalt wohlsortierter Häppchen geschehen kann. Der Besucher schlendert von einer Leckerei zur anderen, bewundert hier ein über jedes vernünftige Maß hinaus prunkvoll wirkendes Reiseservice und dort ein als Souvenir aus dem Heiligen Land mitgebrachtes, aus Rosenholz, Perlmutt und Bein überaus kunstreich gefügtes Modell der Grabeskirche in Jerusalem, amüsiert sich über eine zierliche Flohfalle, streift Globen und astronomisches Gerät, trifft auf ein barockisierendes Theaterkostüm von Vivienne Westwood und steht endlich begeistert vor Rembrandts „Paulus“ aus dem mit den Reiss-Engelhorn-Museen kooperierenden Kunsthistorischen Museum Wien (die Sichtachse darauf ist leider durch überzwerche skulpturale „Kapitelüberschriften“ verstellt, dafür gibt es eine glatte Sechs) - und fühlt sich am Ende wie in einer Pralinenschachtel, aus der sich beliebig und ganz nach Gusto naschen lässt. Gegen solchen leichtfertigen Konsum steht freilich der geballte fachliche Sachverstand von acht Professoren des Wissenschaftlichen Beirates und der Katalogautoren. Diese tun sich – von den tief in die Forschungsgeschichte ausgreifenden Auslassungen zum Thema, was Barock denn sei, mal abgesehen – einmal nicht mit länglichen Auslassungen hervor, sondern fassen das Wissenswerte kurz und knackig und recht leserfreundlich zusammen. Das heißt: Der Ausstellungskatalog ist eigentlich kein richtiger Katalog, sondern ein gut bebildertes Begleitbuch, dessen Kapitel und Kapitelchen sich beim heimischen „Rundgang“ je nach Lust und Laune kombinieren lassen. Dass aus hauseigenem Mannheimer Bestand manches verborgene Schätzchen glänzen kann, sei nicht verschwiegen. Kulturhistorische Feinschmecker kommen voll auf ihre Kosten. Allerdings muss bei all dem Schwelgen in barocken Lebenswelten deren blutige Rückseite hintanstehen. Kein Dreißigjähriger Krieg, kein Spanischer und kein Pfälzischer Erbfolgekrieg, keine Türkenkriege und keine Pest in der Schau. Eigentlich. Zeitgeschichtliche Phänomene haben dann doch einige Auftritte in ihrer milderen Form, figurieren auf Flugblatt, Becher und dekorativ beschönigendes Schlachtenbild, als Vanitas-Stillleben und Memento-Mori-Bild (Überschrift: „Zeit“) und finden sich in den repressiven Zügen kirchlicher Machtausübung wieder. Knapp und präzise bebildert ist die die Barockzeit bis in ihre tiefsten Schichten prägende und bis heute andauernde Spaltung des Glaubens in Konfessionen mit all ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen, zu nennen wären unter anderem die Instrumentalisierung von Architektur und Musik, protestantischer Nüchternheit und üppig inszeniertem Prozessionstheater. Sinnlichkeit argumentiert gegen Strenge. Das alles, wie gesagt, in wenigen Beispielen. Wollte man der Ausstellung und ihrer Intention wirklich gerecht werden, müsste man die Kabinette Stück für Stück nacherzählen. Die besonders schönen Exponate vorstellen. Zum Beispiel unter „Barocke Moden“ dieses wunderbare Porträt von Anthonis van Dyck aus Wien, die Amalie von Solms-Braunfels darstellend. Oder hinweisen auf das hauseigene Bildnis des Pfalzgrafen Johann Christian Joseph von Sulzbach, das wohl nur wegen der üppigen Perücke des Herrn (nebenbei der Vater von Kurfürst Carl Theodor) in die Ausstellung kam. Ungerecht? Anstelle der zu recht zurückgewiesenen Metapher vom „schönen Schein“ (den wir dennoch finden: in der physischen Selbstdarstellung) geht es vor allem um die kulturelle Leistungen der Barockzeit. Und die sind, von Kunst und Literatur über Musik und Gartenkunst bis hin zu Empfindsamkeit und Medizin, wie man so sagt, nicht übel. Nur trifft das auf jede andere Epoche mindestens ebenso zu. Die Ausstellung —„Barock – Nur schöner Schein?“; Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim Museum Zeughaus, bis 19. Februar 2017. Täglich außer montags 11 bis 18 Uhr, sowie an allen Feiertagen (außer Weihnachten und Silvester); Museumspreis Begleitbuch 28 Euro —Umfangreiches Begleitprogramm, Mitmachstationen für Kinder. Anlässlich der Ausstellung „Barock – Nur schöner Schein?“ haben die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim auch das kulturtouristische Netzwerk „Barockregion“ ins Leben gerufen; in Mannheim selbst gibt es einen „Barocken Stadtrundgang“ zur Schau —Weitere Informationen im Internet unter www.barock2016.de. Eröffnung heute, am Samstag vorgezogener Öffnungstag mit freiem Eintritt für alle.

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