Kaiserslautern „Es hat sich ausgehurzt“

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Der Theater-Talk mit Elke Heidenreich am Montagabend sprengte in mehrfacher Hinsicht den Rahmen: Der rekordverdächtige Andrang mit über 200 Besuchern führte zu einer Querbestuhlung im Foyer, wie man sie vom Musikcafé her kennt. Auch die Podiumsrunde selbst stellte die gewohnte Konstellation auf den Kopf: Anstelle mehrerer Diskutanten und eines Moderators standen diesmal zwei RHEINPFALZ-Redakteure, Fabian R. Lovisa und Rainer Dick, dem einzigen Gast gegenüber. Daneben war die höchst vergnügliche Runde von Humor und Tiefgang gleichermaßen geprägt.

Vorab stellte Lovisa Heidenreich als Journalistin, Literaturkritikerin, Dreh- und Hörbuchautorin, Erzählerin, Hörfunk- und Fernsehmoderatorin, Kabarettistin und Opernlibrettistin vor. Angesichts dreier Gastspiele in diesem Jahr stellte er die humorige Frage, wann Heidenreich denn nach Lautern ziehe, worauf das schlagfertige Multitalent ihre Freundschaft mit dem hiesigen Kulturamtsleiter Dammann in Erinnerung rief und von gemeinsamen Begegnungen und einer fruchtbaren Zusammenarbeit vor allem in Köln berichtete. Fast wurde es eine Hommage an den neuen Kulturamtschef, als sie dessen Verdienste um den Aufbau eines Kindertheaters in Köln lobend herausstellte. Kabarettreif parodierte sie weiter die verkehrstechnischen Erfahrungen in Lautern, die selbst für ihr Navi eine Herausforderung gewesen seien. Doch der zur Hochform auflaufende Gast blieb im versöhnlichen Konversationston und genoss sichtlich das rege Hin und Her. Dabei reagierte sie überaus schlagfertig und spontan und konterte bisweilen humoristisch, selten sarkastisch. Heidenreich lieferte druckreife Bonmots, Pointen im offenen verbalen Schlagabtausch wie am Fließband, ließ sich zwar aus der Reserve locken, aber nicht aufs Glatteis führen. Souverän und eloquent gab sie den Ton an. Der erste Themenblock über ihr Verhältnis zum Musiktheater mündete in einen biographischen Abriss. Ihre Mutter, eine Näherin aus einfachen Verhältnissen, habe ihr den Einblick ins Musiktheater ermöglicht. Der Vater, ein Automechaniker, habe wenig Sinn für Kunst und Kultur gehabt. Weiter berichtete Heidenreich von ersten, faszinierenden Theatererlebnissen bei einer „Zauberflöten“-Aufführung. Mit Anspielung auf eine schwach besuchte Opernaufführung am Pfalztheater (Bartoks Oper „Herzog Blaubarts Burg“), die sie am Wochenende verfolgt hatte, führte sie ihre Kölner Erfahrungen an, wonach über Kinder und Kinderstücke die Eltern ins Theater kämen. Weiter kamen ihre Bücher und CDs zum Thema Heranführung an die Oper zur Sprache, etwa „Das geheime Königreich“, ein Opern-Handbuch für Kinder. Sie sprach sich weiter ebenso vehement für einen Abbau der Schwellenangst aus wie für eine Tonsprache, die wieder die Menschen erreiche. „Es hat sich ausgehurzt“, formulierte sich knackig in Anspielung auf eine Kerkeling-Persiflage über den elitären Kulturbetrieb. Dick ließ zunächst ihre Studiengänge Germanistik, Publizistik, Theatergeschichte und Religionswissenschaft Revue passieren. Bei der Frage nach Abschlüssen fiel er allerdings in Ungnade, brachte Heidenreich aber nicht auf die Palme. Mit gespielter Empörung reagierte sie auch auf die Frage nach ihren Fernsehrollen, es schien ihr fast peinlich, mit diesen in Verbindung gebracht zu werden, zu banal sei mancher Stoff gewesen. Dennoch rühmte Dick ihre filmischen Erfolge und wunderte sich über ihr oft frühes Ausscheiden trotz Erfolgsquoten. „Wenn’s am schönsten ist, soll man aussteigen“, verkündete Heidenreich daraufhin ihre Maxime. Der dritte Themenblock drehte sich um Heidenreichs literarisches Schaffen und begann wieder im sehr lockeren Konversations- und Plauderton, als Lovisa zunächst Heidenreichs Liebe zum Mops ansprach vor dem Hintergrund des Loriot`schen Spruchs, dass ein Leben ohne Mops zwar möglich, aber sinnlos sei. Neben einer Lobeshymne auf die Vierbeiner kam das Gespräch so elegant auf Heidenreichs doppeltcodierte Tiergeschichten, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen ansprechen. Schließlich erfuhr das Publikum auch von ihrem neuesten Band, der 190 Geschichten umfasst und im Februar im Herder-Verlag erscheint. Was ihre Rolle als Literaturkritikerin betrifft, schlug sie sich eher auf die Seite der emphatischen Vermittlerin, die ihre Zuschauer sozusagen an der Hand durch den Bücherdschungel führt. Die Rolle des grantelnden Kritikerpapstes Reich-Ranicki mit einem Füllhorn von ausgeschütteter Häme sei nicht die ihre, wie sie Dick erläuterte. Trotz der klaren Gliederung des Gesprächs ergaben sich in assoziativer Reihung von Gedanken ständig neue Themenfelder. Einen aktuellen Bezug stellte Lovisa zum Schluss her mit Heidenreichs gesellschaftlichem Engagement, das auch bis zum konkreten politischen Statement reiche. Neben Klimawandel und den zunehmenden Kriegen auf der Welt ging es dabei auch um das Zusammentreffen höchst unterschiedlicher Kulturen angesichts der Flüchtlingskrise. Heidenreich bezog dabei eine kritische und differenzierte Haltung. Sie berief sich zwar auf die zehn Gebote und stellte klar, dass Flüchtlingshilfe geleistet werden müsse. Jedoch mahnte sie auch eine kulturelle Anpassung der Flüchtlinge an das abendländische Wertesystem an: Hilfe ja, aber gleichzeitig Schutz vor Überfremdung, ist ihre durchdachte Position. Angesichts des Irak- und aktuell des Syrienkriegs warf Heidenreich der Politik Konzeptionslosigkeit vor. Nach dem Eingreifen westlicher Mächte herrsche in etlichen arabischen Ländern ein weitaus größeres Chaos als zuvor. Dennoch schloss sie mit einem positiven Grundgedanken: Letztendlich sei der menschliche Wille zum Überleben stärker als sein Drang zu Macht und Zerstörung. Die Diskussion mit dem Publikum führte dann zurück zum Lesen: Neben ihrem neuen Buch war die Funktion der Literatur als Trostspender, ja als Weltflucht ein Thema, bei dem Heidenreich erneut mit Emphase für ihr Lebensthema warb. Talk Nächster „Talk unter Freunden“ am 15. Februar, Thema wird noch bekannt gegeben.

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