Kaiserslautern Eisen und Stahl

Eine Familie, zwei Weltkriege, jede Menge Macht und noch mehr Geld – die Geschichte der Industriellenfamilie Röchling bietet den Stoff für das ganz große Drama. Mit der Völklinger Hütte prägte die Großfamilie über 100 Jahre lang die Wirtschaft an der Saar entscheidend mit. Eine Ausstellung zeigt die wechselvolle Geschichte der Dynastie, die Verstrickungen in die Verbrechen des Dritten Reiches und den Wandel der Völklinger Hütte zum Unesco-Weltkulturerbe.

Als Carl Röchling die stillgelegte Völklinger Hütte 1881 kaufte, war das Stahlwerk pleite. Mit seinen Brüdern Fritz und Theodor machte er sich an den Wiederaufbau. Das größte Problem war der Stillstand – wenn das Erz ausging. Um das zu vermeiden, fuhren die Röchlings mehrgleisig: Sie bauten eine neue Hochbahn, die das Erz anlieferte, kauften Erzlagerstätten im benachbarten Lothringen und starteten mit der Produktion von Koks. Der Grundstein zu einem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg war gelegt. Zwar hatte die Familie schon zuvor in der Eisen-Industrie gearbeitet, Urahn Johann Gottfried Röchling war im 18. Jahrhundert Direktor der Eisenwerke in Schönau und Contwig. Doch die Völklinger Hütte gewann rasch eine eigene Dimension. 1886 arbeiteten fast 1500 Menschen in dem Werk, das jährlich 40.000 Tonnen Eisen auswarf. Und das Unternehmen wuchs weiter. Nur vier Jahre später war es der größte Eisenträgerhersteller im Deutschen Reich. Das Geschäft boomte. Jahr um Jahr kamen neue Hochöfen hinzu. 1905 hatte die Hütte 3800 Beschäftigte und produzierte jährlich 244.000 Tonnen Eisen. Solche Zahlen sind schwer zu fassen, vor allem, wenn sie nur auf Papier stehen. Ein Blick auf den gigantischen Komplex der Völklinger Hütte hilft. Die schiere Größe der Gebäude und der Hochöfen, die endlosen Reihen rostiger Waggons, die das Material transportierten, sind das beste Anschauungsmittel. Diese Unterstützung kann die Ausstellung, in der zum ersten Mal die Geschichte der Völklinger Hütte selbst und die Rolle der Unternehmerfamilie Röchling im Mittelpunkt stehen, gut gebrauchen. Der Bogen, den die Schau in zwölf Kapiteln schlägt, ist weit: Er reicht von der Gründung des Stahlwerks 1873 bis zur Ernennung des Industriekomplexes zum Weltkulturerbe 1994. Dazwischen liegen zwei Weltkriege, in denen das Unternehmen eine entscheidende Rolle bei der Rüstungsproduktion spielte. Im Ersten Weltkrieg waren es vor allem Munition (Granaten) und Stahlhelme – fast 90 Prozent der deutschen Soldaten trugen Helme, die aus Völklinger Stahl gefertigt waren. Im Zweiten Weltkrieg sah es ähnlich aus. Die „Wunderwaffe“ V3, mit der London beschossen werden sollte, entwickelte einer von Röchlings Ingenieuren, die Hütte selbst lieferte die Granaten dazu. In beiden Weltkriegen waren Zwangsarbeiter beschäftigt. Allein im Zweiten Weltkrieg mussten mehr als 12.000 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, darunter französische, vor allem aber russische Kriegsgefangene, unter extremen Bedingungen in der Hütte arbeiten. Arbeitsschutzbestimmungen galten für sie nicht. Mindestens 256 Menschen starben. Wie viele es wirklich waren, lässt sich kaum mehr feststellen. Mit diesen dunklen Kapiteln ist vor allem ein Name verbunden: Hermann Röchling. Als begabter Ingenieur stellte er einerseits die Hütte auf die neusten Methoden der Stahlherstellung um. Andererseits setzte er sich dafür ein, die benachbarten lothringischen Gebiete zwangsweise unter deutsche Herrschaft zu stellen. Während die Kohle an der Saar lag, fand sich das Erz jenseits der Grenze. Dieses Ziel verfolgte er im Ersten und Zweiten Weltkrieg, ab 1939 als Wehrwirtschaftsführer. Weitere Posten im NS-Regime folgten. Wie lässt sich mit dieser Geschichte umgehen, wie sie angemessen darstellen? Die Macher der Ausstellung haben sich dafür entschieden, die unterschiedlichen Zeitabschnitte nebeneinander zu stellen. Einen Schwerpunkt gibt es nicht. Die Besucher können und müssen sich die Geschichte der Familie und der Hütte mit jedem Schritt selbst erarbeiten. In kurzen Abständen stehen Litfaßsäulen, die über und über mit Dokumenten beklebt sind. Zeitungsausschnitte, Kopien von Urkunden, Fotos, handschriftliche Briefe – die Menge der Informationen ist groß. So groß wie die mintgrün gestrichene Halle, in der die Ausstellung zu sehen ist. Über 1000 Dokumente verteilen sich auf 1000 Quadratmetern. Früher wurde hier das wertvolle Erz gelagert. Neben öffentlichen Archiven hat auch die Familie Röchling für die Ausstellung Akteneinsicht gewährt. Blick- und Angelpunkte der Ausstellung sind einige große Exponate, die eine gewisse Gliederung vorgeben. Eine Ahnengalerie, ein Kasten voller Stahlhelme, eine V3-Granate, die Registrierungskartei der Zwangsarbeiter, eine Replik des Zeugenstands des Rastatter Prozesses, in dem sich Hermann Röchling 1948 verantworten musste. Die Prozessakten und das Urteil – zehn Jahre Haft, Vermögenseinzug, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und ein Aufenthaltsverbot im Saarland – sind in digitaler Form einsehbar. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zeit der Völklinger Hütte nicht zu Ende. Im Gegenteil. 1970 warf die Hütte über eine Million Tonnen Stahl aus, rund 17.000 Menschen waren beschäftigt – so viele wie nie zuvor. Oder danach. Die Stahlkrise Ende der 1970er Jahre lähmte das Werk. 1986 wurde der Betrieb eingestellt. Heute ist die Hütte Weltkulturerbe – und die Familie Röchling, nachdem sie sich aus dem Rüstungskonzern Rheinmetall zurückgezogen hat, im Kunststoffgewerbe tätig.

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