Kultur Cannes: Es gibt einen Nachfolger von Godard – er heißt Carax

Szene aus „C’est pas moi“ von Leos Carax.
Szene aus »C’est pas moi« von Leos Carax.

Das Centre Pompidou in Paris bat den französischen Regisseur Léos Carax (63) um eine Art Selbstporträt für eine Ausstellung (die dann doch nicht zustande kam), ausgehend von der Frage: „Wer bist du?“.

Carax („Die Liebenden von Pont Neuf“ 1991) gilt als das wilde Wunderkind des französischen Kinos, auch heute noch. Nun versteht man warum. „C’est pas moi“ (Das bin ich nicht) hat er den 41-Minuten-Film betitelt. Es wurde ein surrealer Essayfilm, etwas, was wohl keiner erwartet hatte.

Es ist der erste Godard-Film nach seinem Tod (Godard starb 2022 freiwillig mit 91 Jahren), der nicht von Godard ist! Wer die Godard-Essayfilme der letzten 20er Jahre kennt, weiß, was das bedeutet: Schnipsel aus eigenen und fremden Filmen, Fotos, Übermaltes, Eingeklebtes, eingeblendete Schriften, auch längere Zitate, Philosophisches, Collagen zu Leben, Liebe und Krieg – und über allem Godards charismatische Stimme aus dem Off. Genau das gibt es hier: Carax sitzt im Schlafanzug auf dem Bett und liest, die normale gefilmte Szene wird zur Solarisation, alles flimmert. „Am Abend bin ich früh eingeschlafen“, sagte er. Carax„ Stimme klingt überraschend rau. Sie ist der von Godard sehr ähnlich. Der Zwischentitel „Élan Vital“ zeigt, wie er sich fit macht: Mit Kaffee und Ei, das ist das nächste Bild. Das Foto eines Mädchens kommentiert er damit, sie sei seine Schwester, ob das stimmt, wissen nur intime. Es folgen Fotos von kleinen Jungen: „Das bin ich, nein, das bin ich nicht“, kommt es aus dem Off. Aber die frühen Filmaufnahmen seiner Tochter in Super-8 scheinen echt zu sein.

Weiß, männlich, hetero

Dann beschreibt Carax sich in einem Zwischentitel doch: „weiß, männlich, hetero“ und als Mann des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den Filmen von Godard geht es Carax nicht darum, zu erklären, wie die Welt zusammenhängt, wie die Philosophen sie erklären und Godard das in Bildern , Filmen und Büchern findet. Bei Carax sind die Ergebnisse eher ein wilder Gedankenfluss, in dem Szenen aus Stummfilmen von Fritz Lang, Ernst Lubitsch und F.W. Murnau (lange Szene mit dem Mann, der zwischen Schilf und Wald in „Sunrise“ umherirrt, weil ihm seine Frau weggelaufen ist) ebenso Platz haben wie Fotos von Hitler und anderen Diktatoren. Aus den Carax-Filmen taucht immer wieder die junge Juliette Binoche aus den 80ern auf, als Carax mit dem Filmen begann und dann der ältere Denis Lavant, der bislang in keinen der Carax-Film fehlte und sein alter Ego ist.

Irgendwann zwischen Freiheitsstatue und der ersten Mondlandung hört man sie dann, die Stimme von Godard. Offenbar rief er Carax mal an und landete auf dem Anrufbeantworter: „Hier ist Jean-Luc Godard, ich bin gerade in Paris und würde Sie gerne treffen, rufen Sie mich doch bitte in meinem Büro an unter der Telefonnummer …“.

Die Begegnungen

Das war kurz nach Carax zweitem Film „Mauvais sang“ (Die Nacht ist jung, 1986), sie trafen sich dann auch. Kennengelernt hatte Carax Godard schon vorher: Als er 19 war, verbrachte er ein paar Tage in der Schweiz am Set von Godards „Sauve qui peut (la vie)“ (Rette sich wer kann (das Leben)). Godard gab ihm kurz drauf eine kleine Rolle in seinem „King Lear“ (1987). Seitdem haben sie sich wohl aus den Augen verloren, aber Carax verfasste für die Zeitung „Libération einen sehr persönlichen Nachruf unter dem Titel „Godard, danke dass du nicht in Frieden ruhst“.

Nun kommt dieser Film als Hommage, um zu zeigen, wie sehr Godard den jungen Carax prägte, der mit 17 völlig trunken aus „Pierrot le fou“ („Elf Uhr nachts“) taumelte. Am Ende von „C’est pas moi“ stimmt Carax dann völlig mit Godard überein, wenn er klagt, dass das Kino seine Energie und seine Zauber verloren hat, weil jeder auf dem Handy seine Filmchen dreht. Um nach dem langem Nachspann zu zeigen, wie es früher war, wie die Magie entsteht: Drei Männer in Schwarz halten eine Stabpuppe im roten Schlafzug, die auf einem Tisch steht und nun beginnt, schnell zu laufen. Obwohl es kein Band ist, auf dem sie läuft und sie nicht von der Stelle kommt, aber ihre Bewegungen und die im Hintergrund eingeblendeten vorziehenden Streifen suggerieren, dass sie läuft und schließlich sogar schwebt. Einfach wunderbar!

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