Kaiserslautern Eine Sternstunde

Für das vorletzte Mannheimer Konzert als Chefdirigent des mit Stuttgarts Radio-Sinfonikern zu fusionierenden SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg wählte Francois-Xavier Roth, ein origineller Dramaturg, zwei überaus attraktive, eher selten gespielte Stücke: Debussys (Handlungs-)Ballettmusik „Jeux“ (Spiel) und Schönbergs sinfonische Dichtung „Pelléas und Mélisande“. Dazwischen machte Christian Tetzlaff Furore mit Sibelius’ Violinkonzert.

Man soll den Mund nicht zu voll nehmen. Im Prinzip: nicht. Diesmal indes besteht keine Gefahr der Übertreibung: Das Konzert im Rosengarten entsprach jedem noch so hohen Anspruch. Es darf nach Herzenslust geschwärmt werden. Francois-Xavier Roth, sinfonischer Stratege, akribischer Tüftler und Sensibilissimus am Dirigentenpult, stellte mit dem glänzenden SWR Sinfonieorchester eindringlichst zwei Facetten der frühen Moderne beziehungsweise Spätestromantik des beginnenden 20. Jahrhunderts vor. So bezauberten die Zuhörer bei Claude Debussy der hohe ästhetische Reiz der unerhört raffiniert ersonnenen und ebenso elegant nachvollzogenen Koloristik, das Spiel der Farben, Harmonien, subtilen Zwischentöne und Bewegungen, das ungemein delikate An- und Abschwellen der Dynamik. Die Aufführung war ein Fest des subtilen, stellenweise nachgerade zerbrechlichen sinfonischen Wohllauts. Bei Arnold Schönbergs „Pelléas und Mélisande“, einem Frühwerk seines Schöpfers noch vor seinem Aufbruch zu neuen Ufern, wurde dann nach der Pause ausführlich spätromantischer großorchestraler Glanz zelebriert. Mit beschwörenden Gesten animierte Roth die Musiker zu entfesselt affektgeladenem Spiel, zu verwegenen Aufschwüngen, disponierte gigantische Klangballungen und verwegene sinfonische Apotheosen. Es war ein Bad im spätromantischem Tonparadies, bei dem sich die ganze Ekstatik, die Tristan-Atmosphäre der Komposition höchst suggestiv spürbar wurde. Seine Partitur schrieb Schönberg offenkundig mit dem Wagnerschen Musikdrama im Hinterkopf. Ein auf andere Weise überwältigendes Kapitel bildete das Sibelius-Konzert. Über Christian Tetzlaffs Wiedergabe des Soloparts lässt sich nur in Superlativen reden. Den exorbitanten virtuosen Ansprüchen des Stücks wurde der von Dirigent und Orchester vorbildlich unterstützte Violinist mit verblüffender Leichtigkeit gerecht, er schüttelte alle verwegenen Läufe, Sprünge, bogentechnischen Zauberkunststücke gleichsam aus dem Ärmel. Was er mit absolut schlackenfreiem Geigenton von vollendetster Schönheit tat. Ganz einmalig wirkte aber seine gestalterische Fantasie, seine ganz seltene Kunst, zu formen und differenzieren. Jeder Ton war diesmal ein aufregendes Ereignis. So brillant, feinfühlig, beredt, in so klug durchdachter Aufführung ist Sibelius` Violinkonzert, wenn überhaupt, nur in den seltensten – und beglückendsten – Ausnahmefällen zu erleben. Schließlich Tetzlaffs Zugabe, die Sarabande aus Bachs d-Moll-Partita für Violine allein: eine Sternstunde interpretatorischer Intelligenz, verfeinerter Musikalität und spielerischer Brillanz.

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