Kaiserslautern Bis die Pampa brennt

Das war kein laues Frühlingslüftchen, das war ein Sturmwind, der am Donnerstagabend durchs Kasino der Kammgarn brauste. Was der Brasilianer Renato Borghetti auf seiner „Quetschkommode“ anstellte, war sensationell und riss die begeisterten Zuhörer von den Stühlen. Die Überraschung perfekt machte der Auftritt der Wandermusikanten, die im vergangenen Jahr bei dem Gaucho in Südbrasilien weilten.

Der Musiker mit dem schulterlangen Zottelhaar, dem feschen Strohhut auf dem Haupt und der weit ausgestellten Pluderhose ist hierzulande von seinen Auftritten im März 2011 im Cotton Club und im Mai 2013 in der Landstuhler Stadthalle bestens bekannt. Und wenn er mit seinem Quartett loslegt, dann fegt er die vermuteten „Quetschkommoden“-Klischees nur so aus den Köpfen und tritt sie mit Füßen. Und schnell wird klar: Mit Gaucho-Musik im engeren Sinne hat das so wenig zu tun wie Astor Piazzollas Kunst mit dem üblichen Tango. Mit seiner Virtuosität und Dynamik erhebt Renato Borghetti diese Folklore auf Kunstniveau. Er ist ein Verführer. Und im Verein mit seinen virtuosen Partnern, dem Pianisten Vitor Peixoto, dem Gitarristen Daniel Sá sowie dem Flötisten Pedro Figueiredo ließ er auch heuer wieder eine Mischung aus den verschiedensten Musikstilen auf den Hörer prasseln, die auf europäischen, afrikanischen und lateinamerikanisch-indigenen Traditionen basieren. So spielten die Vier mal Polka, mal Walzer, mal Flamenco, mal Tango und Milonga, aber immer mit einem Schuss Jazz veredelt. Vielschichtige Geschichten erzählten sie mit überraschenden Wendungen, einer enormen Dramatik und oft mehreren Pointen. Dabei waren ihre Stücke nie vorhersehbar oder beliebig. Die Abwechslung zwischen Soli und Dialogen, die perfekte Ausgewogenheit der Musiker und Borghettis unglaubliche Spielfreude machten das Konzert aus. Mit seiner Gaita ponto, einem leichten, an ein Spielzeug erinnernden diatonischen Knopfakkordeon, sprang Borghetti auf der Bühne herum wie ein Irrwisch. Seine Ausdruckspalette ist unglaublich. Durch seine direkte Reaktionsweise ermöglicht das Instrument das für den Milonga wichtige Staccatospiel. Dissonanzen erzeugten den für das Knopf-Akkordeon typischen delikaten Vibrato-Effekt, und delirische Tastenorgien demonstrierten, dass aus dem Instrument weitaus mehr rauszuholen ist als fließende Melodien und Polka-Riffs. Mit optimalem Biss, mit genau den Zwischentönen, Glissandi und Schwankungen spielten auch Borghettis Mitstreiter. Bei allen abschattierten Farben und rohen Brutalismen hat die Darbietung der vier Hexenmeister einen Grad Schmelz, der süchtig macht. Besonders Pedro Figueiredo begeisterte ein ums andere Mal mit seinen rasend virtuosen „Zigeunerstücken“. Auf der Gitarre erwies sich Daniel Sá als virtuoser Fingerpicker, und mit Vitor Peixoto saß zudem ein brillanter Mann an den Tasten, der mit einem hohen Maß an Esprit eine filigrane Ästhetik und virtuose Nuanciertheit verband. Immer wieder warfen sie sich in virtuosen Dialogen den Fehdehandschuh vor, bis die Pampa brannte. Den sechs Wandermusikanten um den Schneckenhausener Roland Vanecek war es vergönnt, das Konzert einzuleiten. Mit Richard Strauß’ „Zarathustra“ fegten die Bläser los wie ein Orkan, glühten auf in rauschender Pracht. Trotz dieser Klanggewalt waren sie jedoch zu rhythmischer Differenzierung fähig. Eine Musik, deren optimistische, ja euphorische Züge durchaus der Seelenlage sowohl der brasilianischen, als auch der pfälzischen Musiker entsprach. Roland Vanecek am Sousafon, Igor Rudytsky und Florian Wehse an der Trompete sowie Clemens Braun an der Posaune erinnerten dabei mit ihrer technischen Brillanz an Hochleistungssportler. Dass die „Pfälzische Prärie“ (eine Eigenkomposition Vaneceks) mit der lateinamerikanischen Pampa eng verwandt ist, davon konnte sich jeder am Schluss überzeugen, als beide Formationen zusammen auf der Bühne standen. Da brannte die Luft. Die Zuhörer waren nicht mehr zu halten und erhielten noch zwei Zugaben.

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