Kaiserslautern Aus der Traum

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Ein halbes Jahrhundert Jazzfestival in Montreux: Klar, dass sich die Organisatoren für die 50. Ausgabe des weltberühmten Konzertreigens mächtig ins Zeug legten. Am Wochenende ging der 16-tägige Musikmarathon am Genfer See zu Ende. Er brachte ein Programm auf gutem Niveau – zu einem herausragenden reichte es nicht. Es ist eben schwierig, die eigene Legende noch zu übertreffen.

Alles beginnt am 16. Juni 1967, als der gelernte Koch und stellvertretende Fremdenverkehrsamtsleiter von Montreux, Claude Nobs, ein kleines Jazzfestival am Ufer veranstaltet. Drei Tage dauert es, 10.000 Franken ist das Budget leicht, aber immerhin reisen Größen wie Keith Jarrett, Charles Lloyd oder Jack de Johnette an. Bereits zwei Jahre später passiert das, was Jazzpuristen bis heute wundert: Mit dem Auftritt von Ten Years After öffnet sich das Festival dem Rock. Und als 1971 eine der drei Spielstätten, das Casino, während eines Auftritts von Frank Zappa abbrennt, ist es wiederum eine Rockband, die gerade am See weilt und das Flammeninferno musikalisch in ihrem Welthit „Smoke On The Water“ verewigt. Auch Festivalchef Nobs und sein heldenhafter Einsatz während des Brandes werden in dem Song gewürdigt. Zeitsprung: Dass ausgerechnet der Sohn des verstorbenen Frank Zappa, Dweezil Zappa, mit den frühen, arg exzentrischen Songs seines Erzeugers und danach die in Ehren ergrauten Deep Purple das Jubiläumsfestival am Samstagabend beendeten, ist eine starke Referenz an die Musikgeschichte(n), die Montreux geschrieben hat. Für die Nachwelt festgehalten sind sie übrigens in dem 40 Tonnen schweren Videobandarchiv von Claude Nobs, das inzwischen zum Unesco-Weltkulturerbe avancierte und in der Zukunft einmal der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden soll. Daneben führt einem ein brandneuer Bildband vor Augen, was da in fünf Jahrzehnten zusammengekommen ist an Musikhistorie. Doch zurück zum Finale mit Zappa und den Rockern aus Großbritannien, die zu guter Letzt sogar gemeinsam auf der Bühne standen und die Montreux-Hymne „Smoke On The Water“ schmetterten. Der Abend brachte vor allem die Erkenntnis, dass mit klangvollen Namen und Nummern noch immer Staat zu machen ist. Und dementsprechend stachen sie auch in diesem Jahr wieder aus dem Konzertreigen heraus: all die Hancocks, McLaughlins oder Jarreaus, die dem Festival über die Jahre die Treue hielten. In schöner Regelmäßigkeit machten auch Quincy Jones, Marcus Miller, Van Morrison oder Carlos Santana Nobs und seinem Festival ihre Aufwartung und waren auch heuer wieder mit dabei. Santana übrigens ließ es trotz seiner bald 69 Jahre mehr denn je krachen und nahm das Publikum am vergangenen Donnerstag auf eine Zeitreise mit. Tags zuvor hatte die 70-jährige Hippie-Ikone Neil Young sich geschlagene drei Stunden durch die eigene, knapp 50-jährige Bühnengeschichte gerockt, inklusive Hits wie „Heart Of Gold“ oder „Rockin’ In The Free World“. Dass die Dichte der Legenden nach dem Tod des Impresarios Nobs 2013 deutlich nachließ, ist Fluch wie Segen zugleich: Zwar verlor mancher Festivaltag dadurch sein quotenträchtiges Zugpferd. Und doch entsteht so Raum für Neues. Die exklusiv fürs Festival zusammengestellte Geburtstagssause des französischen Jungregisseurs und Alternative-Pop-Musikers Woodkid am Freitagabend beispielsweise brachte frischen Wind in die größte und traditionsreichste Spielstätte, das Auditorium Strawinski. Zwar versucht Nobs-Nachfolger Mathieu Jaton die Legende seines Vorgängers zu erhalten und lädt die Künstler nach wie vor zum Apéro in das zum Museum gewandelte Nobs-Chalet hoch über den See. Und doch ziehen inzwischen wohl eher die Gagen, denn das Renommee, der Ruf, einmal Teil der Legende (gewesen) zu sein, die Musikprominenz an. Deutlich höhere Eintrittspreise – bis zu 350 Franken kostet die Konzertkarte – und teilweise übervolle Konzertsäle scheinen daher kalkulatorische Notwendigkeit. Immerhin konnte Jaton bei der Abschlusspressekonferenz am Freitag denn auch ein ausgeglichenes Budget verkünden – was seinem Vorgänger in den letzten Jahren selten vergönnt war. Die Konzerte locken inzwischen jedoch auch ein anderes Publikum an den See. Waren es früher vorrangig Musikenthusiasten, die für relativ kleines Geld Weltstars en Gros und den speziellen „Geist von Montreux“ obendrauf erleben durften, so ist es heute doch auch das kapitalstarke Publikum, das in VIP-Bereichen kulinarischen Wonnen frönt und dann via Gruppenführung durch die Konzertstätten an ihre Plätze gebracht wird. Und leider ist die friedliche, überaus freundliche Atmosphäre dem üblichen Hauen und Stechen in übervollen Auditorien gewichen. Das Jazzfestival ist nach 50 Jahren also endgültig in der kapitalistischen Wirklichkeit angekommen. Der Post-Hippie-Traum vom nichtkommerzialisierten, kollektiven Musikerlebnis, den Nobs bis zum Ende ausreizte, ist ausgeträumt. Doch das Festival wird diesen Wandel überleben. Es wird sich weiter verändern, sich neue Zielgruppen erschließen. Montreux wird sich damit eine Zukunft sichern. Und schließlich muss man diese ja nicht teilen.

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