Grünstadt „Gegenwart ist immer“

Unterhaltsam: Christiane Hedtke (Mitte) und Ute Schleich (rechts).
Unterhaltsam: Christiane Hedtke (Mitte) und Ute Schleich (rechts).

„Herrlich dieses Gefühl nichts kaufen zu müssen.“ Mit diesem ersten Satz aus ihrem Gedicht „Konsumverweigerung“ hat Christiane Hedtke am Samstagabend eine vergnügliche und unterhaltsame Lyrik-Lesung eröffnet, die von der Flötistin Ute Schleich musikalisch begleitet wurde. Im kleinen, intimen Rahmen im unteren Raum der Galerie Roter Turm, der Platz für ein knappes Dutzend Besucher bietet.

Christiane Hedtke hat ihren Lyrikband „Dieser rasende Puls“ in mehrere Kapitel unterteilt, in denen es um vier Punkte des Älterwerdens geht: dem Sich-Verweigern, dem Staunen, dem Sich-Erinnern und dem Sich-Weiterentwickeln. Im ersten Teil „Wie es mir gefällt“ beschäftigt sie sich mit dem Konsum-, Jugend-, und Fitnesswahn, der unsere heutige Gesellschaft prägt und dem Glücksgefühl, dass eine Verweigerung hervorrufen kann. „Ewige Gesundheit wird zur Ersatzreligion“, schreibt die Autorin im Gedicht „Gesundheitswahn“. „In der Umkleidekabine“ wird von Atemnot und Herzrasen berichtet: „fast schreiend renne ich in die Fußgängerzone und tröste mich mit zwei wunderschönen runden Kugeln Sahneeis, die richtig gut zu mir passen“. Ihre Gedichte regen mitunter zum Schmunzeln an, mal stimmen sie auch nachdenklich. Die Gefühle, die die Lyrikerin in ihrer verdichtenden Sprache zum Ausdruck bringt, kann sicher jeder, der sich in der zweiten Lebenshälfte befindet, aus eigener Erfahrung nachempfinden. Ute Schleich aus Nussloch bei Heidelberg begleitete die Lesung mit ihrem virtuosen Flötenspiel. Dazu hatte sie sechs verschiedene Holzblockflöten dabei, vom Flautino bis zur großen Tenorflöte. Damit die Flöten nicht auskühlten, durften Freiwillige aus dem Publikum die Flötenhälse während der Lesung mit ihren Händen wärmen. Nach den ersten Gedichten brachte die Flötistin einen Auszug aus „Nice Day“ von Takahiko Saito auf der Altblockflöte zu Gehör. Das Alter schließt das Staunen nicht aus, es schützt nicht vor Verliebtheit, Lebenslust und Leichtsinn wie das Gedicht „Unzurechnungsfähig“ belegt: „Die Fähigkeit, sich zu verlieben, ist das schönste und größte Rätsel der Evolution.“ Das zeigt auch das Gedicht „Purzelbäume“, das von weichen Knien und Purzelbaum schlagenden Gedanken beim späten Läuten des Telefons erzählt. Zum Ende der ersten Hälfte der Lesung spielte Ute Schleich auf der Tenorflöte einen Auszug aus „Raindance“ von Nicola Termöhlen. Nach einer kurzen Pause, in der die Galeristin Brit Hinz aus Mannheim zu kleinen Erfrischungen einlud, ging es weiter mit dem Flötenstück „Toccata“ (Schlaflied für einen Kolibri) und mit Gedichten aus „Einflüsterungen, die betören“, „Geheimnisvolle Choreographie“ und „Gegenwart ist immer“. Hier geht es der Autorin um Erinnerungen wie im Gedicht „Geschnitten“: „Erinnerungen sind Einflüsterungen, die betören oder schmerzen oder beides“, um die vielen Ichs, die unterschiedlichen Facetten des Lebens und die Schönheit der Welt wie im Gedicht „Im Wald“. Zwischen den einzelnen Gedichtbeiträgen ertönen immer wieder kurze Flötenstücke, die den Gedichten Raum geben, um nachzuklingen. Im letzten Teil der Lesung spürt Christiane Hedtke der Gegenwart und der Neugier auf die Einflüsterungen der Zukunft nach. Im Gedicht „Kleine Grammatiklehre“ schreibt sie, dass es nichts Trostloseres gibt als den Konjunktiv der Vergangenheit, da die Möglichkeiten, die er andeutet, keine mehr sind, dagegen ist der Konjunktiv der Gegenwart immer eine durchaus mögliche Möglichkeit. Und daher schließt ihr Gedichtband auch mit dem Gedicht „Ein Vogel namens Nu“, in dem es heißt „Gegenwart ist immer“. Zum Abschluss spielte Ute Schleich noch zwei Stücke von Johann Sebastian Bach „Sarabande“ und „Bouree Anglaise“ auf der Altblockflöte. Das Wechselspiel zwischen Lyrik und Musik war sehr harmonisch und stimmig, Christiane Hedtke und Ute Schleich haben sich vor der Lesung viele Gedanken dazu gemacht und mehrmals geprobt, das Ergebnis war durchaus überzeugend. Von der bereits beendeten Kunstausstellung „Bedrohte Welt“ standen noch fünf Holzskulpturen von Erhard Seiler im Raum, so dass es nicht nur für das Gehör, sondern auch für das Auge interessante Eindrücke gab.

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