Grünstadt Die Tops und Flops des Kulturjahres 2015

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Benjamin Fiege:

Mit Bands, die ihren Zenit eigentlich schon längst überschritten haben, ist das ja immer so eine Sache. Einzig der Nostalgie wegen besucht man meist ihre Konzerte, will dort nur die alten Hits hören und wird dann meist bitter enttäuscht. Die sehen halt in der Regel nicht mehr aus wie früher, spielen unter Umständen nicht mehr so schnell und kriegen ihre besten Songs oft stimmlich nicht mehr gebacken. Im schlimmsten Fall klingt die einstmals gefeierte Kapelle dann wie eine maximal durchschnittliche Coverband ihrerselbst. Auch die Hooters haben ihre besten Zeiten nachweislich hinter sich – und so bin ich auch mit etwas Magengrummeln zu ihrem Gig nach Neuleiningen gefahren. Würden „Johnny B.“ und „500 Miles“ immer noch genauso gut klingen wie damals? Zugegeben, die Hooters sahen tatsächlich nicht mehr so aus wie früher, aber immer noch fit genug – und die Performance, die die Hooters beim Burgsommer ablieferten, war ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Eine positive Überraschung in diesem Kulturjahr 2015. (bfi) Anja Benndorf: Schaue ich auf das kulturelle Geschehen in 2015, zeigen sich keine wirklichen Flops, aber einige Tops. Zu nennen wäre da beispielsweise die Musical-Show „Best of Andrew Lloyd Webber“ im April in Eisenberg, wobei mit grandioser Musik in tollen Kostümen verzaubert wurde. Zu meinen Favoriten gehören ferner das Comedy Special, mit dem der Burgsommer Neuleiningen im Juni sein Programm eröffnet hat: Oropax, Schwarze Grütze und Begge Peder waren eine perfekte Mischung, um die Lachmuskeln zu trainieren. Ebenfalls ein Highlight war Carl Zuckmayers Seiltänzerstück „Katharina Knie“, bei dem den Altleininger Burgspielern die Balance zwischen ergreifend und lustig gelang. Als absoluter Höhepunkt kristallisiert sich aber heraus: der Neubau der Filmwelt Grünstadt. Mit großem Mut, viel Herzblut und Einsatz haben die Geschäftsführer der CLC-Kinobetriebe, Alexander Cyron und Oliver Lebert, sich in ein millionenschweres Abenteuer gestürzt. Auf dem Didier-Gelände haben sie mit einem wohldurchdachten Konzept ein Kulturzentrum mit überregionaler Bedeutung geschaffen und sind mit mehr als 50 Mitarbeitern – im alten Europa-Kino waren es acht – zu einem größeren Arbeitgeber avanciert. Das moderne Lichtspielhaus mit integrierter Bühne und Gastronomie ist schnell zu einem Magneten für Publikum aus nah und fern geworden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Erwartungen hinsichtlich Besucherzahl und Umsatz übertroffen werden. Der Treffpunkt für Menschen jeglichen Alters und mit unterschiedlichen kulturellen Interessen ist eine Bereicherung für Grünstadt. (abf) Gaby Sprengel: Pfälzer Kerwen gelten allgemein als Kulturgut. Als solches sollten sie auch behandelt werden. In manchem Dorf scheint es allerdings immer schwerer zu werden, einen sonntäglichen Umzug mit einigermaßen attraktiven Wagen auf die Beine zu stellen. Leider gesellen sich dabei viel zu oft rollende Dröhn-Discos dazu, oft entsandt von diversen Gruppen oder Komitees. Jene nicht gerade inspirierten Teilnehmer finden es klasse, sich hüftschwingend mit Bier- oder Weinflasche in der Hand auf eine mit wummernden Boxen ausstaffierte Rolle zu stellen. Das war’s denn auch. Unoriginell. Ein absoluter Flop! Auch, weil bei vielen Zuschauern die Schmerzgrenze für Augen und Ohren überschritten wird. Wie es anders gehen kann, wurde in demselben Kerwe-Umzug im Obrigheimer Ortsteil Albsheim gezeigt. Da erschuf eine Privatfamilie mittels selbst entworfener Kostüme eine echte Märchenwelt und lief in Gestalt von Rotkäppchen, Bremer Stadtmusikanten und dem Froschkönig mit. Die Albsheimer Familie hat sich , übrigens nicht zum ersten Mal, richtig viel Mühe gegeben. Ähnlich wie beim Umzug in Kindenheim, wo ein Privatmann eine imposante mitfahrende Ritterburg, belagert von Kita-Kindern, aufbaute. Daumen hoch! Top! Weil sich kleine und große Zuschauer an solch originellen Beiträgen erfreuen. An geschichtlichen Motiven und darstellungswürdigen Themen fehlt es in keinem Dorf. Nur herzeigen, wie man trinken und tanzen kann, ist dürftig. Dann lieber ein paar Nummern weniger. Ein kleiner, aber feiner Kerweumzug kann da mehr sein. Hoch soll sie leben, die Kerwe! (gsp) Roland Happersberger: An Schönem mangelte es nicht, weder beim Kulturverein noch beim Kirchheimer Konzertwinter noch sonst. Die von Professor Lutz aus St. Gallen komponierte und zu Jahresanfang in Kirchheim auch aus der Taufe gehobene „neue“ humoristische Bachkantate war gewiss ungewöhnlich und spektakulär; wenn ich indes einen einzigen Favoriten hervorheben soll, war das etwas sehr Spezielles in der Kirchheimer Konzertreihe: Musik für Geige und Klavier aus vorbachischer Zeit, ungemein hinreißend, makellos perfekt und dabei in jedem Takt wunderbar belebt vorgetragen von Plamena Nikitassova und ihrem für die Tasteninstrumente zuständigen Duo-Partner Andreas Bötticher. Beide verstanden es auf faszinierende Weise, sehr fern liegende Kompositionen dem heutigen Hörer ganz nahe zu bringen. Den Hörer hielt das sehr lange lauschend bei der Stange, er gab sich staunend der sprühenden Fantasie dieser höchst geistreichen „musikalischen Erfrischungen“ – so der Konzerttitel – hin. „So muss man im Himmel Musik spielen“, sagte eine Hörerin im Hinausgehen. Besser kann man die funkelnde kristalline Reinheit, die schwerelose Schönheit dieses Konzerts kaum pointieren. Ein kulturelles Glanzlicht anderer Art: dass der Heimat- und Kulturverein in Neuleiningen seine Museumsarbeiten so glanzvoll vollendet hat. Der Reinfall des Jahres betrifft ebenfalls den Kirchheimer Konzertwinter. Man lud zum Saisoneröffnungskonzert, aber kaum jemand war gekommen. Wer da was musizierte, ist unerheblich, denn das Konzert war so gut wie die anderen in dieser verdienstvollen Reihe auch. Aber offenbar wollte sich kaum jemand an einem sommerstrahlenden Septembersonntag mit herrlichem Sonnenschein schon mittags um fünf in eine Kirche setzen, auch der Rezensent verschwand mit dem Schlussapplaus flugs Richtung Wurstmarkt. Der Flop des Jahres also besteht für mich darin, dass immer mehr Veranstalter glauben, sonntags um fünf sei nicht nur im Winter (da musiziert man mittlerweile sogar schon um 15 oder 16 Uhr) sondern auch im Herbst und Frühjahr der einzig zweckmäßige Konzerttermin, so dass es auch nicht schade, wenn dann drei Konzerte ähnlichen Kalibers einander in die Quere kämen. Denn abends gingen die Leute, weil sie alle alt seien, nicht mehr aus dem Haus, und unter der Woche gehe sowieso nicht, da wolle alles fernsehen. Derartige Begründungen sind mir mehrfach von Veranstaltern genannt worden. Der Gegenbeweis ist kurz vor Weihnachten erbracht worden: da war – beim Rennquintett – die Martinskirche, zweifellos Grünstadts größter Konzertsaal, ausverkauft: montags, an ziemlich dem dunkelsten und kürzesten Tag des Jahres, abends um acht. (hap) Gabrielle C. J. Couillez:Für mich hat sich in diesem Jahr deutlich ein Unterschied in der Qualität von Veranstaltungen prominenterer Künstler zu jenen Darbietungen wenig bekannter Kulturschaffenden gezeigt, wenn die Bühne vor unserem regionalen Publikum stand. Gerade die hier unbekannten Künstler berührten am meisten die Herzen, bewegten am tiefsten die Gemüter und hinterließen so in ihrem Publikum am Ende mehr Freude und Zufriedenheit, weil sie darin noch ihre Berufung sehen und nicht alleine in der Präsentation ihrer Person. Namen möchte ich nicht nennen, denn mancher mag auch nur einmal einen schlechten Tag gehabt haben oder eine Kritik meinerseits könnte den Ertrag einer zukünftigen Benefizveranstaltung schmälern, was nicht Sinn der Sache wäre. Die Verbreitung von Freude, tiefer Berührung der Seele und Herzenswärme ist meiner Meinung nach die Aufgabe von Kultur und Kunst. Dies ist gerade in der momentanen Zeit in unserem Land von großer Wichtigkeit und alle Kulturschaffende, ob berühmt oder nicht, haben diesen verantwortungsvollen Auftrag für die Gesellschaft. Solchen Wert und solche Begabung sollte von Künstler wie Publikum gleichermaßen geachtet werden. (gzj) Joerg Schifferstein: Hop oder top, das hing immer an den Erwartungen. Mit wenigen bin ich in die Aufführung von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gegangen. Das Musical hat am zweiten Weihnachtsfeiertag mit sparsamer Besetzung und nur vierköpfiger Band absolut überzeugt und den Wunsch nach mehr solcher Aufführungen im Eisenberger Theater geweckt. Mit vielen Erwartungen betrat ich hingegen den Saal beim Gastspiel von Jörg Knör. Der fernsehbekannte Comedian blieb weit hinter diesen Zurück, er wurde sogar zu Enttäuschung des Jahres, warum die Stadt gerade diesen „Star“ bereits zum zweiten Mal geholt hatte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Immer gut für ein Top-Ereignis sind die Vanecek-Zwillinge mit ihren wechselnden Ensembles. Ob Bernhard mit seinen Original Otterstädter Musikanten in Tiefenthal oder Stauf, die Wandermusikanten oder Backblech-Konzerte – das Prädikat hörenswert kann stets vergeben werden, die Fan-Gemeinde der Zwillingsbrüder wird`s bestätigen. Ganz klarer Favorit ist für mich wirklich jedes Mal der Stummfilm-Abend mit Musikbegleitung in der Reihe der Grünstadter Sternstunden. Die Kooperation von Kino und Verein, dieses Mal mit einem Karl-Valentin- Streifen ist grandios – unbedingt beibehalten, das wäre mein größter Wunsch fürs neue Jahr. (jös) Timo Benß: Das absolute Kultur-Top war für mich die Eröffnung der Filmwelt Grünstadt. Was haben alle dem alten Europa-Kino nachgetrauert. Gut, ein bisschen Kult ist schon verloren gegangen, aber im Großen und Ganzen ist das neue Konzept aufgegangen. Sogar aus Worms, wo es auch ein Kino gibt, kommen Besucher nach Grünstadt. Ein großes Loch in die Kulturlandschaft der Region reißt der Tod von Hans-Dieter Willisch. Zuletzt spielte er noch eine kleine Rolle in der SWR-Serie „Pälzisch im Abgang“. Im von ihm gegründeten Boulevardtheater Deidesheim stand er noch am Tag vor seinem Tod auf der Bühne. Auf zahlreichen Gastspielen begeisterte er vor allem auch im Leiningerland seine Zuschauer. (tbss)

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