Grünstadt Das Wort Pogromnacht fällt kein einziges Mal

Diskutieren mit Schülern, von links: die Abgeordneten Iris Nieland (AfD), Simone Huth-Haage (CDU) und Manfred Geis (SPD).
Diskutieren mit Schülern, von links: die Abgeordneten Iris Nieland (AfD), Simone Huth-Haage (CDU) und Manfred Geis (SPD).

Gestern, am Schicksalstag der Deutschen, haben wieder zahlreiche Landtagsabgeordnete weiterführende Schulen besucht, um mit den Jugendlichen zu diskutieren. Am Leininger-Gymnasium in Grünstadt standen Simone Huth-Haage (CDU), Iris Nieland (AfD) und Manfred Geis (SPD) Rede und Antwort. Es wurde rege debattiert, wobei nicht einmal das Wort Pogromnacht fiel.

Nur zum Einstieg wird an die Schrecken des 9. November 1938 erinnert, bei einer Sprechmotette von fünf Schülern: „Verschleppt und der Ehre beraubt. Sie stöhnen und schreien. Recht und Gerechtigkeit sind auf der Strecke geblieben. Die Täter schüren Angst und Fremdenhass.“ Die Gruppe schließt ihren Vortrag mit der Feststellung: „Wir sind gefragt!“ Oberstudiendirektorin Cornelia Diehl greift das auf und sagt zu den Jungen und Mädchen der Jahrgangsstufe elf aus den Leistungskursen Geschichte (Lehrerin: Sandra Wagner), Geografie (Astrid Funk) und Sozialkunde (Martina Keller) im voll besetzten Saal: „Sie werden die Generation sein, die im 21. Jahrhundert dafür verantwortlich ist, wie es mit unserer Demokratie weitergeht und ob sie erhalten bleibt. 73 Jahre Frieden und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit.“ Es folgt erwartungsvolle Stille. Geis schaut sich verwundert nach einem Moderator um: „Wer wartet auf wen?“ Huth-Haage beginnt zu erzählen, weshalb sie sich seit Einführung des Schulbesuchstages 2003 daran beteiligt. Man müsse sich immer wieder vor Augen halten, dass es in Deutschland Diktaturen gab, das Dritte Reich und die DDR. Nieland ergänzt: „Mir ist es ein Anliegen, Dinge wie diesen grauenhaften Rassenwahn zu benennen und nicht drum herum zu reden.“ Helen wagt als erste Schülerin, eine Frage zu stellen: „Wie stehen Sie zur Inklusion?“ Generell, so sind sich alle drei Abgeordneten einig, ist Inklusion erstrebenswert. Doch – und auch da herrscht Konsens – gibt es Grenzen, gerade auch im Bildungsbereich. Geis sagt: „Menschen mit Beeinträchtigungen sind auch zu schützen. Mitunter werden sie in speziellen Fördereinrichtungen besser unterstützt.“ Huth-Haage bekräftigt: „Jeder braucht auch Erfolgserlebnisse.“ Weshalb die Abgeordneten in die Politik gegangen sind, möchte ein Schüler wissen. Nieland erklärt, dass sie schon immer an Geschichte interessiert war und dafür sorgen möchte, dass freiheitliches Leben möglich ist: für ihre Familie, ihr soziales Umfeld, ihr Dorf, ihren Kreis und ihr Land. Das greift für Geis zu kurz. Der Sozialdemokrat betont: „Empathie darf nicht an der Landesgrenze aufhören, sondern muss die ganze Welt umfassen.“ Ein Junge sagt, er könne nicht verstehen, weshalb in einer „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“ wie dem LG im Gebäude der Aufkleber „Kandel ist überall“ hängen bleibt. Damit weißt der Schüler – unbeabsichtigt – auf ein grundsätzliches Problem hin, auf das ihn die Abgeordneten sogleich stoßen. Huth-Haage antwortet: „Warum hast du den Aufkleber nicht entfernt? Du, ihr alle, seid doch die Schule.“ Es wird über homosexuelle, vom Dienst suspendierte Religionslehrer, über Windräder im Wald und Glyphosat auf dem Feld gesprochen. Ein Schüler fragt: „Warum wird nicht konsequent etwas gegen den Klimawandel getan? Immer werden Kompromisse mit der Industrie gemacht.“ Geis fühlt sich herausgefordert, ihm zu erklären, wie Demokratie funktioniert, dass unterschiedliche Interessen abzuwägen und Entscheidungen mehrheitlich zu treffen sind. Länger debattiert wird über das Wahlrecht mit 16, das Sophie anspricht: „Dann hätten wir auch die Chance, uns einzubringen.“ Dem Hinweis, dass es in jeder Partei Jugendorganisationen gibt, schließt Geis die Bemerkung an, dass man bereits mit 14 Jahren zu den Jusos gehen kann, und die Frage: „Wer von euch ist denn in einer Partei?“ Kein einziger Finger geht nach oben. Huth-Haage weist darauf hin, dass sämtliche Sitzungen politischer Gremien öffentlich sind, doch meist niemand kommt und dass die Einwohnerfragestunden bei Ratssitzungen in der Regel ungenutzt bleiben. Geis bringt den Schüler-Landtag ins Spiel und Nieland macht deutlich: „Ihr könnt euch tagtäglich in die Gesellschaft einbringen.“

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