Grünstadt Barrierefreiheit per Bus im Blick

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Die Sitzung des Kreisseniorenbeirats am Donnerstag fand sehr wohl im Sitzen statt – aber nicht nur und vor allem an ungewohntem Schauplatz: Ein Linienbus kutschierte das 15-köpfige Gremium und Mitglieder der Kreisverwaltung bei 35 Grad durch den südlichen Landkreis, um Haltestellen auf ihre Barrierefreiheit und den behindertengerechten Zugang zur Bahn zu inspizieren.

„Die Rampe ist gut. Sie ist nicht zu steil.“ Jutta Heller, Martha Kürten und Jürgen Hess begutachten die Rampe, die man hinten im Bus ausklappen kann und die nahtlos an den Bordstein anschließt. Die drei sind quasi Experten in Sachen Mobilität und all den Hindernissen, die diese einschränken können. Heller ist mit dem Rollator unterwegs, Kürten schiebt ihren Ehemann Klaus im Rollstuhl, Hess bewegt sich eigenständig mit dem „Rolli“. Der Bus hat die erste Station erreicht, den Bahnhof in Wachenheim. Hier sind die baulichen Voraussetzungen auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität gut. Für den Vorsitzenden Reinhard Fischer und seine Kollegen im Kreisseniorenrat sind die Eindrücke und Informationen dieser Fahrt wichtig. Ihre Erkenntnisse über gelungene Umsetzungen oder auch Probleme für Senioren im öffentlichen Personennahverkehr bringen sie in Anregungen und Empfehlungen bei Behörden und Institutionen ein. Nicht nur für ältere Menschen ist der ÖPNV ein „Topthema“, wie es der Ebertsheimer Fischer ausdrückt. Ute Brunner, die ÖPNV-Beauftragte im Kreishaus, bekräftigt, dass man bei der Fortschreibung des Kreisverkehrsplans die unterschiedlichsten Menschen im Blick habe. „Schüler, Senioren, Mütter mit Kinderwagen, Behinderte und Touristen sind mit ihren Bedürfnissen zu berücksichtigen. Wir brauchen eine Mobilitätskette für alle. Dabei gilt es alle Fortbewegungsmittel zu berücksichtigen: Wo sind Leute zu Fuß, mit dem Rad, dem Bus oder mit dem Ruftaxi unterwegs? Wie sieht die vorhandene Infrastruktur aus? Wie können Angebote verbessert werden?“ Für einen Schub für den weiteren Ausbau der Barrierefreiheit im Kreis hat das gute Abschneiden des Landkreises gemeinsam mit Neustadt beim Landeswettbewerb „Tourismus für alle“ gesorgt. Als „Modellregion“ kommen beide Kommunen in den Genuss von Landesgeldern für die öffentlich-touristische Infrastruktur. „Die Maßnahmen zum Ausbau der Barrierefreiheit laufen erst an“, sagte Landrat Ihlenfeld. Geplant sei, einen Mobilitätsmanager einzustellen, um die Maßnahmen zu koordinieren und sämtliche Beteiligte zu vernetzen. Lösungen „nicht nur vom Schreibtisch aus“ weiter entwickeln wollen die Geschäftsführer des Unternehmens „Palatina Bus“, Marcus Weigl, und des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar, Volkhard Malik, die beide mitfahren. Laut Weigl sind die Palatina-Busse zu 100 Prozent behindertengerecht, Malik berichtete brandaktuell von einem VRN-Leitfaden für die Planung barrierefreier Haltestellen. Im VRN-Gebiet gebe es mehr als 7000 Haltestellen, die alle umgerüstet werden sollen. Den Kommunen soll der Leitfaden dabei helfen. Dass sich die Anforderungen seit den 90er Jahren verändert haben, wird in Deidesheim und Haßloch deutlich. Hier hinken die Bedingungen dem Status quo zum Teil hinterher. In Haßloch werden Probleme beim Zugang zu den Bahngleisen offensichtlich. Eine gut 40 Meter lange Rampe mit einer Steigung von zehn Prozent stellte für das Quartett von vorhin eine enorme Behinderung dar. Rollstuhlfahrer Hess schafft es durch einen Kraftakt allein, die beiden Frauen nur mit Unterstützung. „Ohne Hilfe kommt man oft nicht ans Ziel“, sagt Martha Kürten. Das ist auch die Erfahrung von Jutta Heller. Die Leute helfen in der Regel gern, berichtet sie. „Es wäre mir am liebsten, wenn ich allein unterwegs sein könnte“, betont sie. Die Barrierefreiheit stand im Blickpunkt der Busfahrt. Sie ist jedoch nur ein Mobilitätsproblem von vielen. Hinzu kommen fehlende Verbindungen, erklärt Heller: „Wie soll ich zum Beispiel auf die Wachtenburg kommen?“ Roswitha Mayer-Karl aus Carlsberg macht darauf aufmerksam, dass für ältere Menschen in ländlichen Regionen schon die Strecke zur nächsten Haltestelle ein Hindernis sein kann: „Ich muss drei Kilometer laufen bis zum Bus!“ Für viele Mitglieder auch im Kreisseniorenbeirat bildet das Auto noch immer einen wesentlichen Garanten für eine eigenständige Lebensgestaltung. „In puncto Barrierefreiheit hat sich in den letzten 20 Jahren einiges getan“, meint Franz Krätschmer, Behindertenbeauftragter in Haßloch, übereinstimmend mit Heller und Kürten. Gleichwohl gebe es noch viel zu tun. „Wir bleiben dran“, versichert Hans-UIrich Ihlenfeld. Das gleiche gilt für Seniorenbeiratsvorsitzenden Fischer. Er will die auf der Fahrt gewonnenen Erkenntnisse auch ins Leiningerland einbringen, etwa bei einer Bürgermeisterdienstbesprechung in der VG Grünstadt-Land. Nach Haltestellen, bei denen „sich etwas tun muss“, braucht der Ebertsheimer nicht lange zu suchen: „Man nehme nur mal unsere Bushaltestelle in Richtung Eisenberg.“ |sum

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