Frankenthal Gelebte Sinnlichkeit

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Glamour pur unterm Kronleuchter – das stand am Freitagabend im Wormser Theater auf dem Programm. Im Rahmen ihrer Deutschland-Tournee machte die Show „Let’s Burlesque“ Station. Die internationale Truppe um die Berliner Künstlerin Evi Niessner begeisterte ihr Publikum mit heißem Jazz, prickelnder Erotik und viel Nostalgie.

Die Zuschauer ließen sich gerne entführen in eine pralle Welt gelebter Sinnlichkeit. Mittelpunkt des augenzwinkernd-verruchten Burlesque-Universums war Evi Niessner. Als Regisseurin und Kompaniechefin hielt die Berlinerin nicht nur die Fäden in der Hand, sie dominierte als Conferencière und Sängerin über weite Strecken auch das Bühnengeschehen. Mit ausladenden Showroben, praller Körperpräsenz, vor allem aber mit ihrer ausdrucksstarken Stimme sang und spielte sie sich durch das gut zweieinhalbstündige Programm. Thematische Songs wie „Lösch aus das Licht“ vermittelten auch einem burlesqueunerfahrenen Publikum die Botschaft: Es geht um Sinnlichkeit als Lebensgefühl, wild, ungezügelt – und fast zum Anfassen. Die Show ist ein Plädoyer für Liebe und Schönheit. Um TV-Ideale aus der Retorte geht es nicht. „Vergesst Heidi Klum, hier gibt es echte Frauen im wahren Leben“, sagte Niessner und ergänzte: „Wir passen in keine Schublade.“ Burlesque ist als Unterhaltungskunst im Großstadt-Dschungel der flirrenden 1920er-Jahre abseits der Hochkultur entstanden und vereint Musik, Tanz und Artistik unter dem Aspekt zelebrierter Erotik. So entwickelte sich eine aufreizende Melange, die unangepasst, anarchisch und schräg ist. Soweit die Theorie. Die Show „Let’s Burlesque“ aber setzt – vielleicht etwas zu einseitig – auf die historischen Aspekte von Pin-Up-Glamour und Cabaret-Nostalgie, was besonders auf der großen Bühne zeitweise beinahe zu sauber wirkte. Die vielfältigen Strömungen, wie sie in der deutschlandweiten Burlesque-Szene nicht zuletzt seit dem Kinofilm „Burlesque“ und Darstellerinnen wie Dita von Teese zu erleben sind, blieben außen vor. Stets an der Seite der Sangesdiva war Pianist Mister Leu (Rainer Leupold), der als schräger Tastenakrobat mit virtuosem Fingerspiel, verrückten Showeinlagen und nuancenreicher Stimme überzeugte. Die aus den gestandenen Jazz- und Bluesmusikern Michael Clifton (Schlagzeug), „Dr. Jazz“ Robin Draganic (Kontrabass) und Ben „King“ Perkoff (Saxofon) bestehende Live-Band The Glanz changierte zwischen aufpeitschendem Hot-Jazz, coolem Barsound und dreckigem Blues. Bedauerlicherweise war der Sound etwas übersteuert. Über den tonintensiven Kamasutra-Flirt zwischen Evi Niessner und Saxofonist Ben Perkoff konnte man nur staunen. Nicht minder aufreizend ließ die Band akustisches Striptease-Feeling entstehen und begleitete die Akteurinnen präzise beim stilvollen Entblättern. Weil es in der Burlesque nicht zuletzt um das Zelebrieren des ewig Weiblichen geht, setzten gleich drei internationale Künstlerinnen der Show das Sahnehäubchen auf: Miss Erochica Bamboo, Berlinerin mit japanischen Wurzeln, gab die exotische Geisha und schälte sich wie ein Wirbelwind aus ihrem Kimono inklusive stilechtem Harakiri-Finale. Die weibliche Phantasie bediente der polnische Equilibrist Robert Choinka mit seiner sexy Handstand-Akrobatik als schmutziger Junge aus der Autowerkstatt. Miss Sophia St. Villier, gebürtige Neuseeländerin aus London, gab die unnahbare Lady in Red mit androgyner Coolness à la Marlene Dietrich, als sie sich aus Frack und Corsage schälte. Miss Honey Lulu, in Berlin lebende Italienerin, begeisterte mit glamourösem Strip im klassischen 50er-Jahre Pin-Up-Stil und einmal mehr mit prickelnder Champagner-Dusche. Im burlesken Striptease sind nackte Tatsachen tabu, es geht ums Necken, Andeuten und die Kunst des stilvollen Sich-Enthüllens. Die Zuschauer durften sich zurücklehnen und goutierten die sich minimierenden Kostümierungen bis zum heißen Finale mit brustspitzenkrönenden Pasties.

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