Frankenthal „Das geht einem nach“

So sah es einige Zeit nach dem Angriff an der Bahnhofstraße aus. Links hinten sind die Reste der Synagoge zu erkennen, rechts hi
So sah es einige Zeit nach dem Angriff an der Bahnhofstraße aus. Links hinten sind die Reste der Synagoge zu erkennen, rechts hinten die frühere Sparkasse, das heutige Erkenbert-Museum.

Am 23. September 1943 griff die britische Luftwaffe Mannheim an. Ohne dass es geplant war, fiel ein erheblicher Teil der Bombenlast auf Frankenthal. Große Teile der Innenstadt wurden zerstört. Am morgigen Sonntag ist es 75 Jahre her, dass diese beispiellose Katastrophe die Stadt traf.

Um 22.14 Uhr heulen die Sirenen: Luftalarm in Mannheim, Ludwigshafen und Frankenthal. 15 Minuten später nimmt der Werksschutz des Maschinenbauers KK&K (heute: Howden Turbo) in Frankenthal erste „Meldungen über Anflüge und Leuchtbomben in Richtung Mannheim und Ludwigshafen“ auf. Und dann, eine Minute später, „auch solche in Richtung Worms“. Dass das auf eine drohende Katastrophe für die Stadt hinweist, ahnen die Frankenthaler Beobachter zu diesem Zeitpunkt nicht. In den erhaltenen Einsatzplänen der Royal Air Force (RAF) für den 23. September 1943 kommt der Name Frankenthal nicht vor. Erklärtes Ziel des Großangriffs mit 615 viermotorigen Bombern ist der Mannheimer Norden mit seinem Hafen- und Industriegebiet. Doch die Attacke läuft in Teilen anders ab als geplant. Über Belgien haben sich die viermotorigen Stirlings, Halifaxes und Lancasters dem deutschen Staatsgebiet genähert, begleitet von zweimotorigen Mosquito-Pfadfindermaschinen, die die Ziele markieren sollen. Südlich von Mainz schwenken sie ein auf den Zielanflug Richtung Mannheim. Um die deutsche Abwehr zu verwirren, greift eine kleinere Gruppe zuvor Darmstadt an. Um 22.38 Uhr fallen die ersten Bomben in Edigheim, um 22.39 Uhr in Mannheim – und schon gegen 22.45 Uhr gibt es erste Einschläge in Frankenthal. Irritiert halten Piloten der RAF später in ihren Einsatzberichten fest, dass es zu diesem Zeitpunkt offenkundig bereits Fehlmarkierungen gegeben habe – verschoben in Richtung Oppau-Edigheim-Frankenthal. Und dann tritt ein, was die britischen Militärs den „Zurückkriech-Effekt“ nennen: Da die deutsche Abwehr durch Flak-Geschütze am Boden und Nachtjäger in der Luft immer heftiger wird, werfen die Angreifer ihre tödliche Last zusehends früher ab. Ab etwa 23.10 Uhr trifft der Bombenhagel mit voller Wucht auch Frankenthal. Die Luftwaffenhelferin Rosel Schäfer erlebt das „Geheule, Rauschen und Zischen“ in einer Telefon-Vermittlungsstelle am Friedhof mit. „Heftige Detonationen um uns herum, der Boden bebte und zitterte. Der Luftdruck zertrümmerte die Fenster. Wir lagen alle am Boden, schrien und fühlten uns dem Tode nah.“ „Den Angriff kann man schwer beschreiben“, berichtet 60 Jahre danach Wolfgang Alexander Schultz, damals Flakhelfer: „Diese Erschütterungen, diese Sprengbomben – das geht einem nach.“ Erst gegen 23.20 Uhr sind die fünf Angriffswellen vorbei. Große Teile der Frankenthaler Innenstadt liegen da schon in Trümmern. Deutsche Jagdflugzeuge setzen den Bombern noch Richtung Frankreich nach. Um 0.10 Uhr heulen die Sirenen in Ludwigshafen und Frankenthal. Das bedeutet eigentlich: Entwarnung. Doch die Katastrophe setzt sich fort. Das Wasserwerk in Edigheim, das normalerweise auch Frankenthal versorgt, ist schon zu Beginn des Angriffs zerstört worden. Löschwasser fehlt allenthalben; so brennen dann noch ganze Straßenzüge nieder. Auch große Betriebe wie Bender oder Sternjakob sind schwer getroffen. Die Vorratskeller der Zuckerfabrik brennen 22 Tage lang; der süßliche Geruch hängt schwer über der Stadt. 956 Tonnen Sprengbomben und 1018 Tonnen Brandbomben sind in dieser Nacht auf das Angriffsgebiet geworfen worden. 38 Tote werden in Frankenthal gezählt; 203 sind es in der betroffenen Region. 1062 Verletzte registrieren die Behörden, davon 316 in Frankenthal. Wie verheerend die Bomben die Stadt getroffen haben, macht vor allem eine Zahl deutlich: 14.733 Frankenthaler haben in dieser Nacht ihre Wohnungen verloren, gelten als obdachlos – das ist mehr als die Hälfte der Einwohner von rund 27.000 vor Kriegsbeginn. Das nationalsozialistische Regime verbreitet Durchhalteparolen. Man werde sich „nicht kleinkriegen lassen“, sagt NS-Kreisleiter Hieronymus Merkle bei einer Kundgebung im Feierabendhaus. Rund ein Jahr später gibt es in Frankenthal noch mehr Tote: Am 8. September 1944 sterben 52 Menschen, die Schutz vor einem Bombenangriff in Kellerräumen der Pestalozzischule gesucht haben.

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