Donnersbergkreis „Ich sehe die Welt – staunend“

„Geschriebene Welt“ hat Artur Kolditz sein 2013 erstmals erschienenes Buch mit 300 Haikus überschrieben. Inzwischen hat der Bolander Pädagoge und Autor, der dieser Tage 80 Jahre alt wurde, das Buch in einer erweiterten Neuauflage herausgebracht und der geschriebenen Welt weitere Facetten hinzugefügt.

Zu „Brosamen“ und „Strandgut“ hat sich das drittes Kapitel „Fundstücke“ hinzugesellt, das mit rund 120 weiteren Dreizeilern mit zugespitzten Beoabachtungen, Gedankenblitzen und lyrischen Einsprengseln nahtlos an die beiden älteren Teile anschließt. Im Haiku, dem aus Japan stammenden Kurzgedicht, hat Kolditz offenbar die ihm gemäße Ausdrucksform gefunden, wobei er formstreng die Inhalte auf drei Zeilen zu fünf, sieben und fünf Silben konzentriert. „Überschaubar die / Wortzahl: vielleicht acht. Silben: / siebzehn – Das wird Welt“ schlägt er in einem neuen Haiku über das Haiku selbst den Bogen zum Buchtitel und untermauert den darin formulierten Anspruch, ein Ganzes in der sprachlichen Brechung kurzer Momentaufnahmen und zugespitzter Gedanken ohne Zwang zum System geben zu können. Das Alter spielt eine bedeutende Rolle in diesem dritten Buchteil. „Bereitwillig nun / folg’ ich dem Pfeil der Zeit, bin / achtzig und heiter“ kommen die Betrachtungen zu diesem Thema mit dem letzten Haiku zu einem gelösten Ausklang. Dem gehen auch Blicke auf die Schattenseiten des Älterwerdens voraus. „So Vieles hätte / ich unternehmen können. / So Vieles – vorbei“ klingt es auf der Seite davor eher verzagt unter der Überschrift „Zum 80. Geburtstag“. Über allem aber steht die Überzeugung, dass Sterben kein Vergehen ist, sondern „Wandlung“, „Rückkehr ins Sein“. Mit den Bildern von Alter und Tod verbindet sich in diesen Haikus die überwindende Macht des Lächelns, das Kolditz auf dem Gesicht eines sterbenden Freundes bemerkt hat. Auf das Lächeln kommt er im neuen Buchteil immer wieder zurück – „Wie Offenbarung / im Dunkel der Seinsferne / leuchtet ein Lächeln“ –, im Lächeln des Kindes sieht er gar einen Gottesbeweis. Dass hier ein philosophischer Geist im Haiku um den präzisen Gedanken ringt, wird immer wieder fühlbar. Das Haiku lädt geradezu ein zu pointierten Ausleuchtungen des Gegensätzlichen, des Verhältnisses vom Teil zum Ganzen, von Nähe und Ferne, von Groß und Klein. „Überall ist Gott. Du, fürchte dich nicht, wisse: / Alles ist Mitte“, heißt es, von Ferne an Heraklit erinnernd. Das Schweigen wird im Haiku zum Brunnen der Wortwelt erklärt. Und mit der Frage „Was fügt die Gräser / zur Wiese? Natur? oder / der denkende Kopf?“ gibt Kolditz Kant in drei Zeilen. Dabei hält er sich für das Staunen offen, misstraut den fertigen Rezepten. „Ich sehe die Welt / Staunend. Staunend höre ich / sie sei nichts als Stoff“, heißt es etwa ironisch von einem, der seinen Sinn dem Wunder in der Erscheinung offenhält, auch dem Verborgenen, das sich nicht erschließen lässt, dem Göttlichen. Dem dienen auch die Naturbetrachtungen, in denen immer ein von Sympathie getragenes Staunen, Freude an der Erscheinung mitschwingt, gerade wenn sie sich dem Unscheinbaren zuwenden. „Sieh das Besondre / im Kleinen und füge es /als Bild zum Ganzen“ – diesem Anspruch, im ersten Teil formuliert, folgt auch die Erweiterung. Wie die erste Auflage liegt der erweiterte Band in besonderer Aufmachung vor, mit Durchstichbindung gehalten zwischen handgeschöpften Nepal-Kartonblättern mit eingeschöpften Wollfäden.

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