Bad Dürkheim Sänger der Extraklasse mit Rebellen-Habitus

Der ehemalige ESC-Vorentscheidssieger erinnerte streckenweise an den jungen Joe Cocker.
Der ehemalige ESC-Vorentscheidssieger erinnerte streckenweise an den jungen Joe Cocker.

Rock’n’Roll und mehr im Zirkuszelt – zum zehnjährigen Bestehen hatte sich der Musikverein MUK Weisenheim am Sand einiges einfallen lassen. Das dreitägige Jubiläumswochenende war prall gefüllt mit Aktionen und jeder Menge Live-Musik. Als Top-Act am Samstagabend rockte Andreas Kümmert mit Band die Manege und lieferte ein überzeugendes 90-Minuten-Konzert.

Die Locken sind weg, der Bart lang – optisch erinnerte Kümmert an die Kollegen von ZZ Top. Was geblieben ist, ist der eigenwillige Humor des 31-jährigen Unterfranken: Mit dem launigen Spruch „wir sind die Zillertaler Spatzenjäger“ betrat der Künstler Punkt 21 Uhr die Bühne, dankte artig seiner Vorgruppe, den Rockabilly-Kollegen von Boppin’B’ („Musik aus einer Zeit, die mich sehr geprägt hat“) und legte einfach los: direkt, rau, authentisch. Rund 400 Fans handgemachter Livemusik kamen an diesem Abend im nostalgischen Rundzelt auf ihre Kosten – und auch all die anderen, die das Konzert auf dem Außengelände nur akustisch mitverfolgten. Andreas Kümmert, einem Millionenpublikum bekannt durch seinen ESC-Ausstieg 2015, ist ein Vollblut-Musiker, der live alles gibt. Rocker mit Herz, Blue Eyed Soulman – der 31-Jährige bekam schon etliche Etiketten verpasst, die alle irgendwie zutreffen. Im Mittelpunkt des Konzerts in Weisenheim standen die Songs des aktuellen Albums „Recovery Case“ (erschienen 2016): erdiger Soul, melancholischer Blues und antreibende Rocknummern – alles genauso ohrensesselkompatibel wie gartenpartytauglich. Kümmerts Stimme ist live ein Ereignis der Extraklasse: Sie verfügt über eine ungeheure Bandbreite, ist wuchtig, direkt, aber auch feinnuanciert, gefühlvoll, zerbrechlich und erinnert streckenweise an den jungen Joe Cocker. Tonintensitäten lotet er gerne im Nähe-Distanz-Spiel mit dem Mikrofon aus. Bei allen Stücken bringt er vollen Körpereinsatz. Einige Texte seines Albums „Recovery Case“ hat der Singer-Songwriter zusammen mit dem Selig-Gitarristen Christian Neander entwickelt. Neben tiefgründigen Soul-Songs wie der Ballade „Reflection“, die Seelenzustände ausloten, gibt es kraftvolle Rocknummern und atmosphärisch satten Blues. Während seines 90-minütigen Konzerts wirkt der bullige Unterfranke locker und entspannt, voll physischer Präsenz. Seine Angststörung scheint er im Griff zu haben. Alles toll, bis auf seine eigenwilligen Moderationen: Der Auftritt im schwarzen Shirt mit aufgedrucktem „Fuck you you fucking fuck“-Statement, den wir an dieser Stelle lieber nicht übersetzen, mag vielleicht als kalkulierter Rebellengestus, sein Verweis der „Dauerquatscher“ im Publikum als pädagogische Maßnahme und die Kritik am Musikbusiness – „dank Spotify verdienen wir 0.48 Cent an unserer aktuellen Single“ – als berechtigt durchgehen. Aber sind Seitenhiebe auf die Kollegen der Pop-Fraktion – „bei Justin Bieber ist alles live – wir spielen Playback“ – zwanghafter Sarkasmus? Gewöhnungsbedürftig waren auch seine Anmoderationen, die thematisch von „koitalen Machenschaften“ bis zum Intimpiercing reichten. Da scheint sich einer am Rebellen-Status abzuarbeiten, der das gar nicht nötig hat. Am besten, man kümmert sich nicht um Kümmerts Ansagen und lauscht nur seiner Hammerstimme, die für sich ein Ereignis ist. Titel wie „Heart of Stone“, „Silver and Gold“ und der Song des ESC-Vorentscheids, „Home is in My Hands“ sind live und begleitet von einer top eingespielten vierköpfigen Begleitband ein besonderer Genuss. Als „Rocket Man“ versteht es Andreas Kümmert, sein Publikum mitzunehmen. Besonders in den ausgedehnten Versionen seiner Stücke kam familiäre Session-Atmosphäre auf und Frontsänger und Band offenbarten ihr volles Live-Potenzial. Noch rund 20 Konzerte werden Andreas Kümmert und Band in diesem Jahr spielen. Am 21. November ist die Kombination live im Capitol Mannheim zu erleben.

x