Rheinland-Pfalz Falsches Etikett an Unglücksfass

Nach dem tödlichen Unfall hat die Gewerbeaufsicht mehrfach Inspekteure zu Süd-Müll in Heßheim geschickt und Verbesserungen verla
Nach dem tödlichen Unfall hat die Gewerbeaufsicht mehrfach Inspekteure zu Süd-Müll in Heßheim geschickt und Verbesserungen verlangt.

«Hessheim/Frankenthal». Die Fotos der Polizei vom Unglücksort an jenem heißen Dienstag, dem 21. August 2018, zeigen offenbar nicht viel: einen gelben Container im Hof der Firma Süd-Müll, großflächig umgeben von Flüssigkeit. Im Container wiederum steckt ein schmutzigweißer, kleinerer Kanister. Als die Aufnahmen entstehen, ist der ältere der beiden Deponie-Mitarbeiter bereits tot, der andere schwebt in Lebensgefahr – er stirbt später im Krankenhaus. Zeugen, die zuvor das Geschehen auf dem Gelände des Sonderabfall-Zwischenlagers von Süd-Müll in Heßheim (Rhein-Pfalz-Kreis) direkt beobachtet haben, gibt es nach Auskunft des Leitenden Oberstaatsanwalts Hubert Ströber nicht. Gestern hat er einen ersten Zwischenbericht über den Unfall veröffentlicht. Ein Großcontainer im Fokus der Ermittler Demnach sind das Landeskriminalamt und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass hochtoxischer Schwefelwasserstoff entstanden sein muss: Beim Umfüllen stark schwefelsaurer Abfälle aus einem 60-Liter-Kanister in einen 1000-Liter-Container, der auf den Bildern fehlt. Dass der Inhalt dieses mit weiteren Chemieabfällen gefüllten Behälters fälschlicherweise als Säure deklariert war, haben inzwischen die Ermittlungen gezeigt. Die beiden Männer, 43 und 30 Jahre alt, konnten das hingegen nicht wissen. Bei den Arbeiten muss es zu einer heftigen chemischen Reaktion zwischen stark sauren und stark basischen Flüssigkeiten unter großer Wärmeentwicklung gekommen sein. Das Gebräu schoss offenbar über; giftiger, gasförmiger Schwefelwasserstoff konnte womöglich explosionsartig nach oben entweichen – eine tödliche Kombination. Die beiden Mitarbeiter aus dem Leiningerland trugen dabei keine Atemmaske, wie Süd-Müll-Geschäftsführer Benedikt Eberhard gestern auf Nachfrage bestätigte. Was sie in dem Glauben, dass sie Gleiches zu Gleichem kippten – also Säure zu Säure – nicht hätten tun müssen, so Eberhard. Eine Einschätzung, die Fachleute aus der Chemieindustrie womöglich anders sehen. Denn dort ist bei Arbeiten mit Gefahrstoffen Schutzkleidung zu tragen. Laut Süd-Müll-Chef war einer der beiden Mitarbeiter Diplom-Chemiker. Er ist ebenso wie sein Kollege an „innerem Ersticken“ durch Einatmen von Schwefelwasserstoff gestorben. Die These, dass Blausäure eine Rolle gespielt haben könnte, ist damit vom Tisch. Ein Schnelltest der Feuerwehr hatte zunächst auf diese Substanz hingedeutet. Laut Staatsanwaltschaft ist dieser Test jedoch „nicht aussagekräftig“. Cyanide – Salze der Blausäure – seien ebenfalls keine nachgewiesen worden, sagte Ströber. Aus dem Fokus der Ermittlungen ist damit auch die Wormser Chemiefirma Evonik mit ihren rund 1000 Mitarbeitern – dem Lieferanten des 60-Liter-Kanisters. Ihr wird attestiert, dass jene Substanz richtig deklariert war: als stark schwefelsaure anorganische Lösung – Abfälle aus der Wasseranalytik von Evonik. Unter anderem enthalten sie Chrom und Silber. Über weitere Details wollte Ströber aus ermittlungstaktischen Gründen nichts sagen. Im Zentrum der Ermittlungen steht nun neben der Frage, inwieweit die Arbeitsabläufe korrekt waren, der falsch klassifizierte große Unfallcontainer und dessen Herkunft. Unklar ist bislang, ob in das 1000 Liter fassende Gebinde bei Süd-Müll weitere Chemikalien geschüttet worden waren oder ob die Fracht so angeliefert wurde. Zu klären ist auch, wer das falsche Etikett zu verantworten hat und ob es eine chemische Analyse vor dem Zusammenkippen gab. Um diese Spur zu verfolgen, durchsuchte die Polizei mittlerweile sechs Firmen in drei Bundesländern – neben Rheinland-Pfalz auch Objekte in Hessen und Baden-Württemberg. Dabei seien umfangreiche Dokumente und EDV beschlagnahmt worden, so Oberstaatsanwalt Ströber. Und die müssen noch ausgewertet werden. Jener große Unglückstank ist laut Süd-Müll-Chef Eberhard erst über ein halbes Jahr später, am 15. März, von den Ermittlern aus Heßheim abgeholt worden. Wann das Behältnis zum Beweismittel wurde, dazu widersprechen sich Staatsanwaltschaft und Deponie-Leitung. Süd-Müll-Chef Eberhard bekräftigte auch gestern gegenüber der RHEINPFALZ, die Polizei schon einen Tag nach dem Unfall auf den Container hingewiesen zu haben. Den hatten andere Mitarbeiter am 21. August mit dem Gabelstapler aus dem Unfallbereich gehievt. In den Akten taucht das Behältnis folglich nicht auf den Fotos auf. Staatsanwalt Ströber hingegen spricht von einem LKA-Beamten, selbst Chemiker, der bei einer erneuten Begehung der Deponie am 6. September durch einen Mitarbeiter-Hinweis die neue Stoßrichtung eingeleitet habe. Inspekteure fordern keinen Deponie-Stopp, Bürger schon Fakt ist, dass von beiden Unglücksfässern erst am 5. Oktober Proben für eine chemische Analyse entnommen wurden. Ströber erklärt das so: Erst habe man sicher sein müssen, sich den Behältern gefahrlos nähern zu können. Dann habe ein Labor gefunden werden müssen mit „Erfahrung und Reputation für forensische Verfahren“ – sprich einen unabhängigen Analytiker, dessen Ergebnisse auch vor Gericht Bestand haben, falls es in dem Verfahren zum Prozess kommt. Für Ströber ist kein Ende der Ermittlungen in Sicht: „Noch lange nicht.“ Schlussendlich freigegeben haben seine Kollegen das Firmengelände für den Sachverständigen, der auf Anweisung der Genehmigungsbehörde Ursache und Ablauf des Störfalls untersuchen soll. Unabhängig davon hat die Gewerbeaufsicht mehrfach ihre Inspekteure zum Sonderabfalllager geschickt und Verbesserungen verlangt. Grund für einen Betriebsstopp sahen die Prüfer nicht. Den aber fordert die Bürgerinitiative „Schutzgemeinschaft gegen Mülldeponie“ jetzt umso vehementer. Kommentar

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