Moderne: »Zeiten des Aufbruchs« in Ludwigshafen Wege vom Gesehenen zum Erschauten

„Frauentorso“ von Archipenko vor Delaunays „Helice“.
»Frauentorso« von Archipenko vor Delaunays »Helice«.

Wie viel Zukunft schon hinter uns liegt! Ein solcher Gedanke kann aufkeimen, wenn eine Ausstellung die geballte Innovationskraft der Kunst nach der Jahrhundertwende in die Räume und Köpfe bringt, die Lust am Experiment, am Neubeginn, am Wagnis in „Zeiten des Aufbruchs“, wie das Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen sie zur Zeit umfassend dokumentiert.

Der Zeit zwischen den Weltkriegen gilt das Augenmerk, doch reicht der Nachhall bis in die 70er Jahre. Der Krieg als Thema wird nicht unmittelbar fühlbar, wohl aber die Zäsuren der Zeit, die Sehnsucht nach neuen Ufern, nach radikalem Neubeginn. Anhand der reichhaltigen eigenen Sammlung folgt das Museum der Abkehr der Kunst vom Abbild des Faktischen in der Abfolge der vielen „Ismen“ dieser Epoche – Expressionismus, Kubismus, Orphismus, Fauvismus, Surrealismus, Konstruktivismus.

Losgelöst vom Gegenstand

Ein Wald – Stämme aus Blau und Magenta-Tönen, umwölkt von etwas Grün und Braun: Ernst Ludwig Kirchners „Bergwald“ empfängt die Besucher in den weiten luftigen Räumen des Museums schon mit solcher Abkehr vom Gesehenen hin zum Erschauten. Die magische Stimmung bleibt die Brücke von der Realität zum expressiven Farbrausch. Der verselbstständigt sich einige Räume weiter gänzlich beim „Orphismus“ eines Robert Delaunay, dessen abstrakte Kompositionen die Farben zum Tanz einladen, in Rhythmik und Harmonik Musik visualisieren wollen. Bilder von intensiver Leuchtkraft und Lebhaftigkeit.

Völlig losgelöst vom Gegenstand präsentieren sich die vielen Spielarten des Konstruktivismus. Grundfragen von Ordnung, Struktur, Störung, Gleichgewicht reduzieren sich auf das Spiel geometrischer Formen. Starke Impulse aus Russland, vertreten etwa mit Ljubow Sergejewna Popowa, fielen auf fruchtbaren Boden in der Kunst der „Züricher Konkreten“ – zu sehen sind etwa Arbeiten von Camille Graeser – oder der niederländischen Gruppe „De Stijl“.

„Kunst ein Zweig der Mathematik“

„Kunst ist ein Zweig der Mathematik, wie jede Wissenschaft“, formulierte Alexander Rodtschenko Anfang der 20er Jahre eine „Losung“ dieser Kunstauffassung, die tief hineinwirkte auch in die Architektur. Dazwischen gibt es viel von Miró, Kandinsky, Macke, Léger, Willi Baumeister, Karl Schmidt-Rottluff: Farbzauber, Formzerlegung, Freiheit, visuelle Strenge. Von der kühlen Sachlichkeit rationalistischer Konzepte über die Suche nach Ursprüngen im Kindlichen bis hin zur einnehmenden Stimmung, etwa in Hubbuchs Nocturne „Mond am Fenster“, ist die Tafel reich gedeckt. 60 Arbeiten, überwiegend Malerei, aber auch Grafik, Plastiken und Fotografien, umfasst die Ausstellung, die zugleich Vorspiel ist zu einem Großprojekt des Hauses, der für September geplanten Ausstellung „Re-Inventing Piet“ zu Piet Mondrian und der Künstlergruppe „De Stijl“.»

Info

»Zeiten des Aufbruchs«, Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, bis 4.2.2024, Di/Mi/Fr 11-18; Do 11-20, Sa/So 10-18 Uhr. Info: www.wilhelmhack.museum

1926 schuf der niederländische Konstruktivist Wobbe Alkema die „Horizontale Komposition“.
1926 schuf der niederländische Konstruktivist Wobbe Alkema die »Horizontale Komposition«.
Fernand Léger: „Vielfarbige Konstruktion“, 1951.
Fernand Léger: »Vielfarbige Konstruktion«, 1951.
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