Kultur Was ist so toll an diesem Mann?

An der Schmerzgrenze unterwegs: Joachim Meyerhoff.
An der Schmerzgrenze unterwegs: Joachim Meyerhoff.

Der Literatur ein Fest! 17 Tage lang bringt die 13. Ausgabe des Festivals „Lesen Hören“ in Mannheim Leser und Schriftsteller miteinander in Kontakt und die Menschen zum Zuhören, Wegträumen, Nachdenken. Viel Neues, Unbekanntes, auch Schräges kann man dort entdecken. Von Joachim Meyerhoff war schon vorher bekannt, wie wunderbar er ist. Bei der Eröffnung des Festivals ist der Bestsellerautor und Schauspieler bejubelt worden wie ein Popstar, und anschließend las er noch.

Joachim Meyerhoff und die Frauen – das ist so eine Sache. Katharina Tremmel von der Alten Feuerwache ist ihm viele Jahre hinterhergelaufen, bis er endlich zusagte für einen Auftritt bei „Lesen Hören“. Die Autorin dieses Artikels hat ein Jahr geduldig ausgeharrt, bis ihr 30 Minuten Interview gewährt wurden. Der Mann ist begehrt. Innerhalb kürzester Zeit war die Alte Feuerwache ausverkauft, als sein Name verkündet wurde, und am Freitag hat wirklich nicht ein Mensch mehr in den zum Bersten gefüllten Saal gepasst. Was ist so toll an dem Mann, das so viele Menschen Eintritt bezahlen lässt, um ihn aus einem Buch vorlesen zu hören, das die meisten wahrscheinlich sowieso auf den Nachttisch haben oder hatten? So vieles. Joachim Meyerhoff ist ein großartiger Schauspieler mit einer unfassbaren körperlichen Präsenz und einer Stimme wie aus Samt. Er hat Engagements am Burgtheater in Wien, wo er lebt, und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Zweimal, 2007 und 2017, hat ihn die Zeitschrift „Theater heute“ zum „Schauspieler des Jahres“ gewählt. Er ist ein unheimlich kluger, gebildeter Mensch, der bei einem Publikumsgespräch zum Gastspiel der Hamburger „Kaufmann von Venedig“-Inszenierung Ende November im Pfalzbau in Ludwigshafen glaubhaft vermittelte, (als einziger Schauspieler) Shakespeare wirklich durchdrungen zu haben. Ja, man kann ihn einen Intellektuellen nennen. Und trotzdem schreibt er höchst erfolgreiche und äußerst unterhaltsame Bücher. In Mannheim las er aus seinem 2017 erschienenen Roman „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“. Es ist der vierte Teil des Zyklus’ „Alle Toten fliegen hoch“, der zunächst ein Theaterprojekt war, ein sehr erfolgreiches. Joachim Meyerhoff und die Frauen – das ist, grob gesagt, das Thema dieses autobiografischen Buches. Er ist Jungschauspieler, hat die Otto-Falckenberg-Schule in München abgeschlossen und landet in der Provinz. Erst in Bielefeld, von wo er selbst weg will und doch halb rausfliegt, dann in Dortmund. Tolle Frauen gibt es überall. Die schlaue Studentin Hanna. Die exzentrische Tänzerin Franka. Die dicke Bäckerin Ilse, die dem hageren Kerl süße Teilchen serviert. Joachim Meyerhoff liebt sie alle, und er widmet ihnen bei der Lesung in Mannheim drei gleich lange Teile, als wolle er heute noch allen gerecht werden. „Ich fand das toll“, sagt er. „Es war eine aufregende Zeit. Es endete natürlich in einer Katastrophe. Aber auch das gehört dazu.“ Vor allem aus der Sicht der drei Frauen betrachtet, sind das astreine Arschloch-Sätze. Meyerhoff erntet Gelächter dafür, Schmunzeln. Aus einem Grund: weil er sich selbst entblößt. Weil er ohne Hemmungen von Niederlagen erzählt, von schamhaften Momenten, davon, wie er als Jugendlicher mit Taucherbrille und Erektion zwischen den Nackten am FKK-Strand herumlungert und dafür von seinen Brüdern für den Rest des Urlaubs gehänselt wird. Fast jeder, der darüber im Saal laut lacht, wird wissen, weil sein erstes Buch „Alle Toten fliegen hoch“ davon handelte, dass sein hämischer mittlerer Bruder wenige Jahre später bei einem Autounfall ums Leben kam. Joachim Meyerhoff macht sich nackt. Literarisch gesehen. Mehr Nähe lässt er nicht zu. Nach der einführenden Rede von Programmleiterin Insa Wilke sagt er in Mannheim nur kurz, er wäre eigentlich auch gerne „Underground“ wie der am Abend danach auftretende Joshua Groß. Mehr sagt der 1967 in Homburg Geborene nicht. Fragen werden auch nicht gestellt. Schon gar nicht die unsägliche, ob das eigentlich alles tatsächlich autobiografisch ist. Wollen wir wissen, ob der Jungschauspieler wirklich mit seiner Studentinfreundin in einen Schuhladen eingebrochen ist und Sex hatte? Um Gottes Willen: Nein.

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