Kultur Spatz unter einstürzendem Himmel

Weinfass und „Luftikus“ Menasse vor Zuckmayer-Nasen bei der Preisverleihung in Mainz.
Weinfass und »Luftikus« Menasse vor Zuckmayer-Nasen bei der Preisverleihung in Mainz.

Gescheitert ist Robert Menasse am Freitagabend einzig beim Versuch, mit seinem Mobiltelefon ein Foto des Publikums aufzunehmen, das ihn, wie er sagte, rühre, weil es zu diesem Anlass gekommen sei. Nach einer kontroversen Debatte um Menasses Umgang mit historischen Fakten und Zitaten hat ihm die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) im Staatstheater Mainz die Carl-Zuckmayer-Medaille für besondere Verdienste um die deutsche Sprache verliehen.

Ein Eklat ist ausgeblieben. Noch am Vormittag hatte der CDU-Fraktionschef im Landtag, Christian Baldauf, Menasse „Geschichtsklitterung“ vorgeworfen. Der Autor hat die im literarischen Werk legitimerweise verwendete falsche Behauptung, der erste Präsident der Europäischen Kommission, Walter Hallstein (CDU), habe seine Antrittsrede in Auschwitz gehalten, im politisch-journalistischen Kontext als Tatsache verkauft. Außerdem hat er Hallstein mit dem Satz „Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee“ falsch zitiert. Die CDU blieb der Verleihung fern, allein, es fiel nicht auf. Die Reihen im Theater waren gut gefüllt. 900 geladene Gäste sollen es gewesen sein. Als der Vize-Fraktionschef der AfD im Landtag, Joachim Paul, begrüßt wurde, wurde es etwas unruhig im Zuschauerraum. Für ein Raunen hat es nicht gereicht. Und doch nahm die Debatte um den „Fall Menasse“ am Abend mehr Raum ein als die Würdigung des literarischen Schaffens des 64-jährigen Buchpreisträgers und Autors des Romans „Die Hauptstadt“. „Es war wahrlich kein leichter Weg bis zu diesem Festabend, und ich danke allen, die dazu beigetragen haben, Argumente zu wägen und zu einer verantworteten Entscheidung zu kommen“, sagte Dreyer. Menasse habe sich entschuldigt, das solle angenommen werden. Der erkrankte Laudator Karl-Markus Gauß, dessen Rede verlesen wurde, sprach vom „glücklichen Deutschland“, in dem politische Parteien über die Zu- oder Aberkennung von literarischen Auszeichnungen Stellung beziehen. „Luftikus steht wegen unkorrekten Zitierens schwer in Kritik“, sagte Robert Menasse in seiner Dankesrede und legte das Zitat – legitimerweise – einem im Traum erschienenen Carl Zuckmayer in den Mund. „Er dreht zwar den Sinn nicht um. Aber wenn er zitiert, dann muss er doch wörtlich zitieren.“ Weil er sich einsichtig zeige, erteilte ihm der Traum-Zuckmayer Absolution: „Guter Dichter, jetzt mit noch besserer Rezeptur“. Dann erzählt Menasse die Fabel von einem am Boden liegenden Spatz, der seine Beinchen in die Höhe reckt. Ein Kater kommt vorbei und fragt, warum er denn auf dem Boden liege. „Der Himmel droht auf die Erde herunterzufallen“, antwortet der Spatz. Und er glaube, das Dach des Himmels stützen zu können, fragt der Kater. „Nein, das glaube ich nicht, aber ich tue, was ich kann.“ Das Publikum solle entscheiden, ob der Spatz davonfliege oder ob der Kater in hole. Wer ein Zeichen der Demut erwartet hatte oder eine mündliche Wiederholung seiner Entschuldigung, die zehn Tage zuvor in einer gemeinsamen Erklärung mit der Ministerpräsidentin aus der Staatskanzlei verschickt worden war, wartete vergebens. Dreyer musste ihn in das Korsett der politischen Spielregeln zwingen, um selbst als SPD-Politikerin die Preisverleihung zu überstehen. Ein Kraftakt für beide Seiten. Menasse, der Europa-Verfechter, war wenige Monate vor der Europawahl, die die SPD zur „Schicksalswahl“ erklärt hat, aus politisch-taktischer Sicht der beste aller Preisträger. Als Verbreiter falscher Fakten wurde er zum Problem. Die Anspannung blieb hoch. Wenige Tage vor der Preisverleihung wurden Journalisten aus der Staatskanzlei heraus angeregt, ausgewählte Schriftsteller zu dem Thema zu befragen. Eine Liste mit Kontaktdaten folgte per Mail. Die Resonanz blieb aus, die öffentliche Meinung kontrovers. „Diese Schizophrenie aufzubringen: Jetzt bin ich Künstler, jetzt bin ich politischer Diskutant. Es ist keine Frage, dass dann der Künstler mit mir durchgegangen ist“, sagte Menasse Stunden vor der Verleihung. Der Fehler werde ihm nicht noch einmal unterlaufen, Er wolle sich aber nicht noch tausend Mal dafür entschuldigen müssen. Ein zweites, öffentliches Mal hätte manchen politischen Mitdiskutanten genügt, anderen war das eine Mal schon zuviel. In seiner Dankesrede war Menasse eins mit sich. Der Spatz, der dem einstürzenden Himmel – das von Nationalisten bedrohte Europa – nach Kräften Widerstand leistet. Wenn ihn der Kater nicht frisst. Und der Carl-Zuckmayer-Preis? Er ist politischer denn je.

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