Kultur Serie Trostmusik (Teil 5): Brahms’ zweites Klavierkonzert

Viele Ideen und Kontraste: Johannes Brahms.
Viele Ideen und Kontraste: Johannes Brahms.

Der Unterschied zum ersten Lockdown im Frühjahr ist fatal. Damals hatten wir den Sommer noch vor uns. Nun wartet nichts als der Winter. Trost tut not. Und Musik-Hören geht immer und überall. Also auch im eigenen Wohnzimmer, wenn man vielleicht gerade nicht raus darf.

„Die Essenz dessen, was man sich unter einem Cello-Solo vorstellt. In der schönsten Lage, eine ruhige Kantilene zu spielen, die menschliche Stimme darzustellen.“ Das sei der persönliche Höhepunkt als Orchestermusiker, sagt Ludwig Quandt, einer der Solocellisten der Berliner Philharmoniker. Er meint damit den Beginn des dritten, des langsamen Satzes aus dem zweiten Klavierkonzert von Johannes Brahms. Um diesen Satz geht es in der heutigen Trostmusik.

Das viersätzige Konzert als Ausnahme

Die meisten Instrumentalkonzerte sind mit drei Sätzen im Schema „schnell – langsam – schnell“ angelegt. In diesem viersätzigen Konzert hingegen folgt auf den Kopfsatz ein wildes Allegro Appassionato. Nicht nur zur Entstehungszeit, auch mit Blick auf den Klassik-Kanon bilden viersätzige Konzerte die Ausnahme. Das Andante, an dritter Stelle der Satzfolge, wirkt deshalb so tröstlich, weil es einen hörbaren Ruhepol zum hochdramatischen Einschub darstellt. Die Besetzung ist über weite Strecken fast kammermusikalisch, und das Solo-Cello bleibt in herausgehobener Position. Noch bevor das Klavier zu spielen beginnt, tritt es in einen sinnlichen Dialog mit der Oboe.

Bei Clara Schumann abgeschaut?

Die Idee, im langsamen Satz eines Klavierkonzertes das Cello als nahezu gleichberechtigten Partner hervorzuheben, hat sich Brahms vielleicht bei Clara Schumann abgeschaut, mit der er bis zu ihrem Tod eng befreundet war. Sie komponierte nämlich, bereits als Teenager Clara Wieck, den zweiten Satz ihres Klavierkonzerts als Duett zwischen Cello und Klavier. Auch ließe sich Tschaikowskys zweites Klavierkonzert erwähnen, in dem für eine Weile das eigentliche Solo-Instrument mit Violine und Cello zu einem Klaviertrio mit Orchesterbegleitung wird. Das erscheint aber eher ein zeitlicher Zufall.

Lautes Moll statt leises Dur

Brahms baut in sein Konzert eine ganze Reihe an musikalischen Ideen und Kontrasten ein. So erklingt nach dem ersten träumerischen Klaviersolo das Thema auf einmal im ganzen Orchester: aber in lautem Moll statt des leisen Dur. Trostspendend, hoffnungsvoll ist das plötzlich nicht mehr. Im Gegenteil, es ist schon wieder aufwühlend, „typisch Brahms“ eben, wie auch das eingeschobene Allegro Appassionato.

Doch unmerklich verlangsamt sich das Andante und lässt das Klavier, begleitet von der Klarinette und den Streichern, in einem entrückten Adagio durch die Tonarten ziehen. Gerade zu impressionistisch vollzieht sich ein Stimmungswechsel. Die Musik treibt ohne direktes Ziel vor sich hin. Die Sorgen des Alltags verschwimmen. Was war noch mal der Grund für die vorherige Aufregung? Egal, denn jetzt herrscht Frieden.

Bevor aber alle Hörer in diesen Tagtraum hypnotisiert werden, kehrt das Cello mit seinem lyrischen, melancholischen Thema zurück. Und jetzt spürt man: Es wird alles gut ausgehen. Keine weiteren Ausschweifungen, keinen Blick in den Abgrund mehr, der bei Brahms so unerwartet schnell auftauchen kann. Nur der Blick zurück auf das was war. Unzertrennlich sind nun Klavier und Cello. Selbst in die kurze Kadenz, die das Ende des Andantes ankündigt, darf sich das Cello einbringen. Dann verklingt der allerletzte Moment der Ruhe und das Stück mündet in das beschwingte Allegretto des Schlusssatzes.

 

CD-Tipp

  • Brahms: Piano Concerto No.2, Brendel, Abbado, Berliner Philharmoniker, Philips
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