Kultur Regisseur Fleischmann zum 80.: Die Wut der Bürger

Sorgte für die Erneuerung des Heimatfilms: der 1937 in Zweibrücken geborenen Pfälzer Regisseur Peter Fleischmann.
Sorgte für die Erneuerung des Heimatfilms: der 1937 in Zweibrücken geborenen Pfälzer Regisseur Peter Fleischmann.

Er ist der am meisten unterschätzte Filmregisseur Deutschlands – und einer der vielseitigsten. Er dreht alles: Spielfilme, Dokus, Kinderfilme, Experimentelles, Animation. Und ohne ihn würde in Deutschlands größtem Studio, in Potsdam-Babelsberg, nicht mehr gedreht: Peter Fleischmann. Morgen wird der gebürtige Zweibrücker 80 Jahre alt. Ein Gespräch.

Beim Münchner Filmfest stellte er gerade die restaurierte Fassung seines Spielfilms „Das Unheil“ (1972) vor, der nie ins Kino kam, weil er bei der Premiere verrissen wurde. Nun weiß man, dass er ein Meilenstein der deutschen Filmgeschichte ist, seiner Zeit weit voraus. Wie Fleischmann mit diesen und anderen Zurückweisungen fertig wurde, erklärt der in einem versteckt liegenden Holzhaus in Werder bei Potsdam lebende Pfälzer am besten selbst, denn er ist auch ein begnadeter Erzähler. Wie sind Sie zum Film gekommen? Über den Zirkus. Ich bin nach dem Abitur durch Europa getrampt und landete beim Zirkus Sarrasani. Die Zirkusstory, die ich dort geschrieben habe, schickte ich an Schongerfilm in Inning am Ammersee. Hubert Schonger lud mich daraufhin ein. Er verfilmte gerade die bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm, eines nach dem anderen. In der gerade beginnenden Produktion „Der Wolf und die sieben Geißlein“ (1956) sei noch der Posten des Aufnahmeleiters frei, meinte er. Ich war hocherfreut, merkte aber bald, dass ich nichts weiter war als der Betreuer der Dorfkinder, die die sieben Geißlein spielten und kaum zu bändigen waren, weil sie unter ihren Geißenmasken schrecklich schwitzten. Der Zirkusfilm kam nie zustande, doch die verschiedenen Jobs bei Schonger halfen mir, mein Studium an der Münchner Filmhochschule zu finanzieren. Schonger produzierte dann Ihren ersten Film, „Die Eintagsfliege“. War das ein Kinderfilm? Eher ein etwas skurriler Kurzspielfilm ohne Darsteller. Die Kamera hing an Gummibändern über der Plattform eines Filmkrans und konnte sich in drei Dimensionen frei bewegen. Sie ist das Auge der Eintagsfliege, und der Film erzählt ihren einzigen Tag aus ihrer Sicht. „Die Eintagsfliege“ lief auf dem Experimentalfilmfestival in Brüssel während der Weltausstellung (1958). Der Film hat Ihnen ein Stipendium an der Pariser Filmhochschule eingebracht? Ja, am IDHEC, dem Institut Des Hautes Études Cinématographiques. Die deutsche Filmbewertungsstelle in Wiesbaden hat dem Film allerdings ein Prädikat verweigert ... Ja, wegen „entsittlichendem Zynismus“. Das kam damals einem Aufführungsverbot gleich. Sagen wir, es war eine Aufführungsverhinderung. Dieser Vorwurf des Zynismus oder des Pakts mit dem Bösen wurde mir gerade in Deutschland immer wieder gemacht. Sie haben Ihr Handwerk in Paris zur Zeit der Nouvelle Vague erlernt. Haben Sie Godard, Truffaut & Co. kennengelernt? Viele der jungen Regisseure haben den Filmstudenten ihre Filme im Rohschnitt gezeigt, um aus unseren Reaktionen letzte Anregungen zu erhalten. Ich erinnere mich an eine lange nächtliche Diskussion nach einer solchen Testvorführung von Godards erstem Spielfilm „Außer Atem“, der uns in einen Begeisterungstaumel versetzt hatte. Diese Bewegungen! Diese Freiheit der Kamera, die durch Straßen eilt und in Kaufhäuser und Wohnungen eindringt! „Und die ungewohnten Schnitte, wie bist du darauf gekommen?“, fragte jemand. „Ich habe einfach die besten Stücke aneinandergeklebt“, antwortete Godard. Bei einigen dieser Regisseure haben Sie als Regie-Assistent gearbeitet ... Ja, bei Jean Dewever, Jacques Rozier, Robert Ménégoz, Jean Chapot ... Danach haben Sie in eigener Regie Kurzfilme gedreht? Einige, ja. Dazwischen und danach. Ihr erster langer Film war ein Dokumentarfilm: „Herbst der Gammler“. Was hat Sie damals motiviert, in München einen Film über Stadtstreicher zu drehen? Die Gammler waren weder Stadtstreicher noch Penner. Sie waren ständig unterwegs, in Deutschland, Frankreich, Italien, wo sie sich an Sammelpunkten trafen, die sich herumsprachen. Istanbul, Nepal, Marokko waren damals die Renner. Ihr einziges Vergehen war, dass sie nicht arbeiten wollten, noch nicht und warum auch? Wie sie fragten. Mich hat nicht zuletzt die Wut der Bürger ihnen gegenüber interessiert, sie sagten: „Wo kämen wir denn hin, wenn das alle tun würden? Wir würden wieder zu Affen! Eingesperrt gehören’s alle. Früher hätt’s sowas net geben! Wenn die arbeiten täten, bräucht’ ma die ganzen Fremdarbeiter net!“ Sie haben für „Herbst der Gammler“ beim Mannheimer Filmfestival einen Preis bekommen, einen Golddukaten ... Aus den Händen von Joseph von Sternberg („Der blaue Engel“) als Jurypräsident. Ja, Mannheim war ein originelles Festival damals. Das Jahr darauf war ich dort Mitglied der Jury mit Werner Herzog und Vera Chytilova, die Jury bestand nur aus Regisseuren. Danach haben Sie Ihren ersten Spielfilm „Jagdszenen aus Niederbayern“ vorbereitet. Wie haben Sie den finanziert? Es gab eine neue Fördermöglichkeit für Regisseure, die ihren ersten Spielfilm drehten: das Kuratorium junger deutscher Film. Während des Schnitts für die „Gammler“ habe ich ausgerechnet, wie viele Seiten Drehbuch pro Tag ich schreiben müsste, um das Einreichdatum noch zu schaffen. Ich hab’ das dann durchgezogen, vormittags Drehbuch, nachmittags Schnitt bis in die Nacht. Mit der Förderzusage konnte ich Rob Houwer als Produzenten gewinnen, mit dem ich in München studiert hatte. Mit den „Jagdszenen“ haben wir den Heimatfilm gründlich erneuert, der ja bisher eher bonbonfarben war. Nach dem Erfolg der „Jagdszenen“, der die Menschenjagd auf einen Außenseiter in einem bayerischen Dorf schildert und der weltweit in den Kinos gezeigt wurde , haben Sie zusammen mit Volker Schlöndorff eine eigene Produktionsfirma gegründet, die „Hallelujah-Film“. .. Unsere erste Produktion war „Baal“ von Volker Schlöndorff mit Rainer Werner Fassbinder in der Hauptrolle, die zweite dann mein Film „Das Unheil“ mit Angela Winkler, Hanna Schygulla und Martin Sperr in den Hauptrollen. Waren die Filme erfolgreich? In Deutschland waren beide zunächst Flops. Beim „Unheil“ hat mir besonders leid getan, dass es der erste deutsche Film war, den der amerikanische Verleih United Artists nach dem Krieg finanziert hat. Die Ablehnung bei der Uraufführung in München 1972 war so stark, dass ihn der Verleih bereits wenige Tage danach zurückzog. Und obwohl er zwei Monate später in Cannes im Wettbewerb lief und auch Preise gewann, wurde er in den deutschen Kinos nicht wieder aufgeführt. Wie verkraftet man als erfolgsgewöhnter Regisseur eine solche Niederlage? Nun, es waren zum Teil die alten Vorwürfe: Zynismus, Penetranz, Denunziation des eigenen Landes ..., aber nie zuvor war die Empörung so allgemein und so heftig gewesen. Das nagt schon an einem. Auch weil der Film ein Experiment war, bei dem ich einiges riskiert hatte. Der Schriftsteller Martin Walser war einer der Wenigen, der damals versucht hat, mir über den Schock hinwegzuhelfen. Wie kam es zu Martin Walsers Mitarbeit am Drehbuch? Das war ganz lustig. Walser hatte erstmals eine Story eigens fürs Fernsehen geschrieben. Ich traf ihn und einen Redakteur des Südwestfunks am Bodensee. Die Frage war, ob ich es inszenieren wolle. „Schon“, sagte ich, „aber zuvor muss ich ,Das Unheil’ drehen.“ „Helfen Sie mir beim Drehbuch, dann wird es schneller gehen“, sagte ich zu Walser. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er darauf einging, aber er meinte: „Warum nicht?“ Hatten Sie einen anderen Blick auf Deutschland, als Sie aus dem Filmland Frankreich hierher zurückkamen? Film war einfach wichtiger in Frankreich. In Paris hieß es unter Studenten sogar: „Film ist wichtiger als das Leben“, was mir zunächst etwas übertrieben schien. Doch es ist ja so: Die Filme leben noch, wenn wir nicht mehr leben. War es Ihre Idee, die Franzosen zu holen, um das Studio Babelsberg nach der Wiedervereinigung zu retten? Es blieb mir gar nichts anderes übrig. Ich war einer der Gründungsmitglieder der FERA, des Europäischen Regieverbandes, der zusammen mit den ostdeutschen Filmschaffenden für den Erhalt der Filmstudios eintrat. In der ehemaligen Bundesrepublik waren alle der Ansicht, es gebe genug Studiokapazitäten, man brauche die veralteten Ufa-, dann Defa-Studios nicht mehr. Das sei so, als wolle man die Trabi-Werke retten. Ich schlug vor, europäische Studios daraus zu machen, der Bavariachef bezeichnete mich als europäischen Romantiker. So war ich froh, im französischen Konzern CGE einen filmbegeisterten Vorstand zu finden, der das Risiko der Sanierung auf sich nahm. Was haben Sie jetzt vor? Soll es „Das Unheil“ auch auf DVD geben? Ich denke, ab Oktober wird der Film auf DVD und Blu-ray erhältlich sein. Ich habe noch viel vor, will weitere Filme restaurieren, soweit sie noch vorhanden sind, aber auch meine Dokus, die ich zwischendurch gedreht habe, um den Kontakt zur Realität nicht zu verlieren. Und natürlich habe ich neue Projekte, Dokumentar- wie Spielfilme. Die werden ja mit zunehmendem Alter nicht weniger, im Gegenteil. Es ist wie in der Wissenschaft: Je älter die Menschheit wird und je mehr Wissen sie ansammelt, desto umfangreicher werden die Erkenntnisse über das, was wir nicht wissen. Auf den älter werdenden Filmemacher übertragen in den Worten von Orson Welles: „Je älter man wird, desto größer wird der Friedhof der Ideen.“

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