Kultur „Nicht den Unterhaltungsmarkt bedienen“

Karl-Heinz Steffens strebt zunächst einmal keine neue Chefposition mehr an.
Karl-Heinz Steffens strebt zunächst einmal keine neue Chefposition mehr an.

Seit der Saison 2009/2010 ist Karl-Heinz Steffens Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. In dieser Zeit hat der 1961 in Trier geborene ehemalige Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker zusammen mit Intendant Michael Kaufmann zahlreiche neue und ambitionierte Konzertformate in Ludwigshafen und der ganzen Metropolregion eingeführt. Beispielsweise das kleine Festival „Modern Times“, das in diesem Jahr seinen fünften Geburtstag feiern kann. Frank Pommer hat sich mit Steffens über das Festival und die verbleibende Zeit mit der Deutschen Staatsphilharmonie unterhalten.

Im Mittelpunkt von „Modern Times“ steht dieses Jahr britische Musik, von Vaughan Williams oder Britten. Warum wird die in Deutschland so selten gespielt?

Das hängt auch mit dem klassischen Schubladendenken in allen Ländern zusammen. Wir sind so dermaßen von unserer eigenen, sozusagen kontinentalen Kunstmusik geprägt, dass England immer ein Stück weit weg ist. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass viele englische Komponisten, egal ob Edward Elgar, Ralph Vaughan Williams oder auch Benjamin Britten, bei uns einfach nicht ernst genommen wird. Dabei sind das spannende Entdeckungen, die man da machen kann, und für mich gibt es ohnehin nichts Langweiligeres, als immer dasselbe zu dirigieren. Das setzt sich ja dann auch in dem Konzert am Sonntag fort, wo mit Alexander Skrjabins Sinfonischer Dichtung „Le Poème de l’Extase“ ein absolut selten gespieltes Werk zu hören sein wird. Das war aber früher nicht so. Als ich noch beim Orchester des Bayerischen Rundfunks war, haben wir das Werk mehrfach gespielt. Das ist für ein Orchester natürlich eine gewaltige Aufgabe, aber ich habe eben gedacht: Das müssen wir auch mal machen. Eines kann man mir bestimmt nicht vorwerfen, dass ich in den vergangenen achteinhalb Jahren nicht stets versucht hätte, unser Repertoire zu erweitern und möglichst breit zu fächern. Was macht das aus den Musikern, aus dem Orchester, wenn sie eine solche Repertoire-Bandbreite und Flexibilität nicht nur fördern, sondern eben auch fordern. Es verändert ein Orchester eigentlich nur positiv. Der Prozess des Lesens, Verstehens, Umsetzens, der hat sich in den vergangenen Jahren deutlich beschleunigt. Ohne eine solche Flexibilität wäre ein Festival wie „Modern Times“, wo wir innerhalb von nur einigen Tagen ständig neue Programme spielen müssen, gar nicht zu schaffen. Das fordert von den Musikern natürlich eine sehr hohe Konzentration. Ich bin auch ziemlich kaputt, wenn ich wie in dieser Woche jeden Tag etwas anderes probe. Aber für irgendetwas muss man sein Geld ja verdienen. Auch im fünften Jahr bietet das Festival ein ambitioniertes und überaus spannendes Programm. Der Publikumszuspruch könnte etwas größer sein, oder ? Woran liegt das? Man muss die Menschen mit den Inhalten eines solchen Festivals überzeugen, das ist schwierig und langwierig, aber ich bin überzeugt, dass es gelingen kann. Natürlich ist das, was Intendant Michael Kaufmann und ich hier gemacht haben, auch für das Publikum eine Anforderung, vielleicht sogar eine Überforderung. Aber genau das ist doch auch unser Auftrag als von der öffentlichen Hand finanziertes Orchester. Das Land darf doch keine neuneinhalb Millionen Euro für ein Sinfonieorchester wie die Deutsche Staatsphilharmonie ausgeben, nur damit dieses dann den Unterhaltungsmarkt beackert und bedient. Der Staat investiert doch in eine Kunstinstitution und eben nicht in eine Unterhaltungsinstitution. Und wenn sie diese Kunst anbieten, dann müssen sie auch mal damit rechnen, dass der Saal nicht voll ist, wobei man natürlich schon darauf achten muss, keine allzu großen finanziellen Risiken einzugehen. Am Dienstag, 3. Oktober, endet auch die über mehrere Jahr angelegte Reihe „Bruckner in den Domen“ mit der neunten Sinfonie im Speyerer Dom. Mit ihren religiösen Inhalten passt diese Musik ganz wunderbar in die Gotteshäuser von Mainz, Worms, Trier und Speyer, aber wie schwierig war es denn, sich auf die nicht einfache Akustik einzulassen? Die Akustik war sicherlich immer eine heikle Angelegenheit, und in Speyer mit dem extremen Nachhall war sie am kompliziertesten. Aber, jetzt, wo wir auf die Konzerte mit allen Sinfonien Bruckners zurückblicken können, kann man schon sagen, dass wir beglückende Abende erlebt haben, sowohl Orchester und Dirigent, als auch das Publikum. Mit der laufenden Saison endet ihre Zeit bei der Deutschen Staatsphilharmonie, für ein Fazit ist es vielleicht noch ein bisschen früh, aber wie sehen denn Ihre persönlichen Pläne aus? Streben Sie wieder eine Chefposition an, nachdem Sie ja auch Ihren Vertrag in Oslo gekündigt haben? Mit Sicherheit wird es irgendwann wieder eine feste Verpflichtung geben. Im Moment aber träume ich davon, eine Zeit lang ein freier Mann zu sein. Ich habe genug zu tun, ich werde, wie man so schön sagt, auch in den nächsten Jahren alle meine Rechnungen bezahlen können. Aber wenn ich dann irgendwann wieder eine Chefposition antreten werde, dann muss wirklich alles passen. Das habe ich an Oslo gesehen, was passiert, wenn ein Steinchen in dem Gebäude nicht passt. Die Staatsphilharmonie wird in die nächste Spielzeit ohne Chefdirigenten gehen. Ist das ein Nachteil für das Orchester? Ein Grund für die Probleme, die ich in Oslo hatte, war ja, dass man mich engagiert hatte und dann kam erst die Intendantin. Und die war nicht wirklich glücklich mit dem, was sie auf der Position des Generalmusikdirektors vorgefunden hatte, also mit mir. Insofern ist es richtig, dass man für die Staatsphilharmonie erst einen neuen Intendanten suchen will und dann erst einen neuen Chefdirigenten. Ich habe ja bereits vor anderthalb Jahren gesagt, dass ich nicht verlängern werde. Also hatte man ja lange genug Zeit, nur ist leider nichts passiert. Jetzt sollten die zuständigen Leute aber zügig vorankommen, denn das Orchester braucht einen Chefdirigenten. Ein Orchester wie die Staatsphilharmonie braucht eine klare Führung. Werden Sie als Gastdirigent zurückkommen? Bis jetzt hat mich noch keiner gefragt, und ich gehöre zu denen, die sagen, wenn man geht, dann muss man auch erst einmal wirklich gehen. Der Neue muss dann zunächst einmal seinen Weg finden, und wenn man mich dann in ein paar Jahren fragt, dann komme ich sicherlich gerne zurück. Die Konzerte —„Modern Times 5: Poème de l’Extase“ mit Werken von HK Gruber, György Ligeti, Bernd Alois Zimmermann und Alexander Skrjabin, morgen, Sonntag, 1. Oktober, 19.30 Uhr, Rosengarten Mannheim. —„Bruckner in den Domen“, Sinfonie Nummer 9, Te Deum, Dienstag, 3. Oktober, 15 Uhr, Dom zu Speyer.

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