Kultur Eine starke Parabel

Ohne Kämpfe geht es nicht ab: Marie Scharf als Fisch im Aquarium, Martin Schultz-Coulon sucht ihre Nähe.
Ohne Kämpfe geht es nicht ab: Marie Scharf als Fisch im Aquarium, Martin Schultz-Coulon sucht ihre Nähe.

Urkomisch und ziemlich tragisch zugleich: Zwischen diesen Polen bewegt sich Nele Stuhlers Stück „Fische“. Die 30-jährige Berliner Autorin gewann mit ihrer Beziehungs-Tragikomödie den renommierten, im zweijährigen Turnus verliehenen Else-Lasker-Schüler-Stückepreis. Verbunden damit ist die Uraufführung des prämierten Textes am Pfalztheater Kaiserslautern. Am Freitagabend war es auf der ausverkauften Werkstattbühne soweit.

Die surreale Geschichte ist eines Franz Kafka würdig: Sie erzählt die Beziehung zwischen einem Mann und einem Fisch. Beim Besuch eines Chinarestaurants entdeckt E., so der Name des Mannes, den Fisch in einem Aquarium. Er kauft ihn kurzerhand und nimmt auch noch ein paar Kieselsteine mit, die das Schuppentier fortwährend aufnimmt und wieder ausspuckt. Zuhause angekommen, beginnt die Beziehung zwischen den beiden so unterschiedlichen Individuen und die damit verbundene Arbeit. Wie sich diese ausgestaltet, ist wohl jedem bekannt: vorsichtige Annäherung, Abklopfen des Anderen, Phasen des Verstehens und des Nichtverstehens, Auseinandersetzungen bis hin zu diversen Eifersüchteleien. Bergen diese Momente zwischenmenschlicher Interaktion schon im wahren Leben neben Tragik auch jede Menge (unfreiwilligen) Witzes, so gilt dies erst Recht in der Konstellation Fisch/Mensch. Die Andersartigkeit und die Eigenheiten des Wasserbewohners geben zudem Steilvorlagen für Situationskomik. So prägt denn auch Screwball-Komödien-naher Witz, temporeich und aus den Gegensätzen der Charaktere resultierend, weite Strecken des Textes. Nele Stuhler spielt dabei virtuos auf der Klaviatur des Wortes, lässt auf rasante Passagen Stille folgen, verdichtet den Textfluss, bricht ihn auf, leitet ihn um und verteilt ihn geschickt auf die Figuren. Diesem quasi musikalischen Spiel mit Dynamik und Agogik auf der Wortebene entspricht die Gesamtanlage des Stückes: Wie in der sogenannten Sonatenhauptsatzform stellt sie zunächst zwei gegensätzliche Themen (Mensch und Fisch) vor und arbeitet diese in Durchführung und Reprise aus. Eine Coda lässt schließlich die Geschichte ausklingen – bei Stuhler wortwörtlich, indem die beiden vereinigten Wesen ihre letzten Worte aushauchen. Den Weg dorthin schildern Marie Scharf als Fisch und Martin Schultz-Coulon äußerst sympathisch und eindringlich. Scharf als ein freches, witziges, manchmal zickiges und oftmals niedliches Fisch-Mädchen und Schultz-Coulon als linkischer, bemühter, vorsichtiger und nicht selten verzweifelter Fisch-Flüsterer. Auch die komplexesten Text-Wasserfälle setzen sie stets konzentriert und präzise um. Mit vollem Körpereinsatz und beträchtlicher mimisch-gestischer Detailarbeit geben sie ihren Rollen jede Menge Präsenz mit. Von der Pantomime bis zu deftigen Slapstickeinlagen reicht ihr nonverbaler Aktionsradius. Die Inszenierung von Christopher Haninger baut stringent auf die Stärken des Textes. Neben dem Humor arbeitet er die stille Tragik heraus, die von Anfang an mitschwingt. Seine Personenführung setzt die Annäherung der Figuren einfühlsam in Szene. Ihr Innenleben wird plastisch in der Schilderung von Ängsten – gerade auch vor der Außenwelt – und Hoffnungen – auf eine Sintflut in Folge des Klimawandels, die beide vereinen könnte. Wie sie gegen Ende des Stücks in einer Art Vision zusammenwachsen, ist im doppelten Wortsinne ein fesselnder Moment: einmal für den Zuschauer, aber auch für das so unterschiedliche Paar, das in einem schwarzen, kokonartigen Schlauch zur Einheit verschmilzt. Eineinhalb Stunden ohne Pause und ohne nennenswerten Spannungsabfall dauert die intensive Inszenierung. Ein Bühnenbild braucht sie dazu nicht. Wenige Requisiten – ein riesiger Plastikball als Aquarium, ein ebenso großer Bilderrahmen als Fenster zur Außenwelt, die die beiden doch nie erkunden, und ein paar Lichterketten – sowie die phantasievollen Kostüme (Ausstattung: Matthias Werner) schaffen zusammen mit Text und Aktion Räume. Die des engen Zuhauses der beiden wie jene der Unterwasserwelt am Ende. Was bleibt, ist das eindringliche Bild zweier Individuen, die trotz aller Andersartigkeit, trotz aller Widrigkeiten um ihr Zusammensein kämpfen. Als Seitenthema taucht das neudeutsch Cocooning genannte soziologische Phänomen des Einigelns in der häuslichen Privatsphäre auf. Eine starke Parabel in Zeiten zunehmender Beziehungslosigkeit und gesellschaftlicher Isolation. Termine —15., 24. März, 2., 4., 18. und 24. April, 20 Uhr, Werkstattbühne, Karten: 0631/3675-209 und www.pfalztheater.de.

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