Rheinpfalz AfD im Bundestag: Pöbeln für Deutschland

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland zeigt in Bundestagsdebatten gern den Vogel oder lacht unmäßig. Unten reagiert AfD-Fraktionsv
AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel reagiert auf eine Rede von Union-Fraktionschef Volker Kauder zum Bundeshaushalt.

Die AfD-Abgeordneten im Bundestag tun alles, um so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu lenken. Sie provozieren mit System – und verändern das Parlament. Beobachtungen.

Seit gut einem halben Jahr sitzen sie im Kreis derer, die sie eigentlich verachten. Die 92 Abgeordneten der AfD bilden im Bundestag einen Block rechts außen, wenn man vom Podium aus ins Hohe Haus schaut. „Wir werden sie jagen“, hatte ihnen Fraktionschef Alexander Gauland vor der ersten Sitzung als dröhnendes Halali mit auf den Weg gegeben. Und er meinte damit die „anderen“, die „Altparteien“, wie die AfD ihre politische Konkurrenz nennt. Das Kapital der AfD ist die öffentliche Aufmerksamkeit. Diese zu erlangen, ist das oberste Ziel der Fraktion. Trotz erbitterter interner Querelen versteht es die Bundestags-AfD von Anfang an, wie eine Festung zu wirken. Den Abgeordneten gelingt es, die Parlamentsarbeit für ihre Zwecke zu vereinnahmen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und zielsicher andere gegen sich aufzubringen. Sie haben dazu ihren eigenen Instrumentenkasten.

Alle mal lachen

Die Geschäftsordnung des Bundestages verbietet so einiges, was sich im Parlament nicht geziemt. Das Lachen verbietet sie den Abgeordneten natürlich nicht, und die AfD-Fraktion nutzt das auf eine Weise, die Gänsehaut erzeugt. Es ist nicht die berühmte „Heiterkeit“, die im Protokoll einer Plenardebatte vermerkt wird, wenn einer eine meist ironische Formulierung gebraucht. Es ist das aggressive „Lachen“, das als Mittel der Erniedrigung eingesetzt wird. Die anderen Parteien lachen so gut wie gar nicht übereinander, die AfD dagegen tut es im Kollektiv. Eine Datenanalyse der „Süddeutschen Zeitung“ aus 24 Sitzungstagen belegt ein Muster. Insgesamt lachte die AfD 156-mal und damit sehr viel öfter als die anderen Fraktionen, die alle unter 60 Lachern bleiben. Einige Abgeordnete empört das Benehmen der AfD so sehr, dass sie es zur Sprache bringen, beispielsweise in der Debatte am 22. November über die Lage in Syrien: Als die grüne Abgeordnete Luise Amtsberg schildert, wie syrische Kinder in Deutschland eingeschult werden und Freundschaften knüpfen, vermerkt das Protokoll „Lachen“ aus den Reihen der AfD. Der Grünen-Politikerin Claudia Roth reißt der Geduldsfaden: „Was ist denn daran lustig?“, ruft sie. Der CDU-Abgeordnete Johann Wadepuhl springt ihr bei und „weiß gar nicht, warum Sie eigentlich ständig über den Umstand, dass jeden Tag in diesem geschundenen Land unschuldige Menschen hungern, gefoltert werden und sterben, ständig höhnisch lachen. Das ist schlicht und ergreifend unverständlich“. Alle Fraktionen außer der AfD applaudieren.

Anwesenheit gleich Fleiß

Von Beginn an hat die AfD ihren Anhängern vermittelt, dass ihre Fraktion die fleißigste im Parlament sei. Die Abgeordneten seien stets vollzählig in den Plenardebatten anwesend, prangerte die AfD die anderen Fraktionen an, die sich offensichtlich nicht um die Debatten scherten. Es wurden auch Fotos auf Twitter gepostet, die ein fast leeres Parlament zeigten. Die Bilder hatten nur den kleinen Schönheitsfehler, da sie deutlich vor Beginn der Sitzung aufgenommen wurden. Mittlerweile rückt die AfD von ihrem unsinnigen Ehrgeiz ab, stets in Mannschaftsstärke aufzutreten. Viele Debatten außerhalb der morgendlichen Kernzeit sind nur für Fachpolitiker interessant, und die eigentliche Arbeit wird ohnehin in den Ausschüssen geleistet. Diese wiederum finden mitunter parallel zu den Sitzungen des Bundestages statt, sodass selten alle Abgeordneten im Plenum sitzen können. Was die AfD ihren Anhängern vermittelt hat, kann sie nicht durchhalten. Schon bei der von der AfD beantragten Abstimmung über die Missbilligung der Texte des Journalisten Deniz Yücel fehlten 14 AfD-Abgeordnete. „Jetzt merkt die Partei, dass im Bundestag sehr viel mehr zu tun ist, als im Plenum zu sitzen“, sagt die Grünen-Geschäftsführerin Britta Haßelmann.

Klassische Medien umgehen

Auffällig ist, dass die AfD-Fraktion gern ihren eigenen Rednern stehend applaudiert und anderen eine Unzahl von Zwischenfragen stellt. Videoausschnitte davon laufen in den einschlägigen Netzwerken sehr erfolgreich. Sie vermitteln das Bild einer Partei, die nun Tacheles rede. Das hat zur Folge, dass Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken überwiegend keine Zwischenfragen der AfD zulassen, um ihnen nicht noch mehr Bühne zu geben. So gerät die AfD in die Rolle eines Opfers, das im Bundestag keine Gleichbehandlung erfährt. Breit ausgewalzt wird das dann im eigenen Facebook-Kanal der AfD. Mittlerweile produziert die Fraktion mit professioneller Fernsehtechnik Kurzfilme mit „Tagesschau“-Anmutung, in der allerdings nur die eigenen Abgeordneten ihre Sicht der Dinge darstellen. Der einseitige Ausschnitt der Wirklichkeit kommt an. Ein Video des AfD-Innenpolitikers Gottfried Curio aus der Haushaltsdebatte wurde 212.000-mal aufgerufen. Curio sagte darin: „Wer die Grenze nicht schließt, ist für jede Vergewaltigung und jede Messerattacke mitverantwortlich!“ In einem Statement vor den AfD-Studiokameras über die Vorwürfe gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behauptet Fraktionsvize Beatrix von Storch entgegen der Nachrichtenlage, Innenminister Horst Seehofer (CSU) vertusche den Skandal statt ihn aufzuklären. Die AfD verbreitet hier, was sie den klassischen Medien immer wieder vorwirft: Fake-News. Eine eigene Medienöffentlichkeit schaffen – dafür stehen im Stellenplan der Fraktion über 40 Posten unter unterschiedlichen Rubriken wie Pressestelle, Öffentlichkeitsarbeit, Social Media, Recherche. Etwa ein Viertel soll nach Medienberichten derzeit besetzt sein. Rechtlich könnte das noch schwierig werden, denn staatliche Fraktionsgelder dürfen nur verwendet werden, um über die konkrete Arbeit der Fraktion zu informieren. Die AfD legt ihr Informationskonzept aber deutlich breiter an – als Werbekanal für die Partei.

Pöbeln ist nützlich

Als Oppositionsfraktion kann die AfD im Grunde politisch nichts bewegen. Die Regierungsparteien bestimmen die Politik, die Opposition darf das kritisieren. Die AfD nutzt das Parlament daher als Bühne zur Motivation ihrer Anhänger. Und die freuen sich stets, wenn sich die etablierten Parteien über die AfD aufregen. Das gelingt der Fraktion immer wieder, indem sie mit Zwischenrufen Redner kaum einen Satz zu Ende sprechen lässt. Wie etwa am 16. März in einer Debatte über die EU-Grenzkontrollen. Ein Auszug aus dem Protokoll, es spricht Detlev Seif von der CDU: „2015 waren es 890.000 Menschen, die nach Deutschland gekommen sind und Asyl gesucht haben. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Immer noch über 10.000 im Monat! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Illegal!) Über 2016 hat sich die Zahl durch die vielen Maßnahmen auf 280.000 reduziert (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das sind immer noch 280.000 zu viel!) und ist im Folgejahr auf 186.000 heruntergegangen. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ganz toll!) Wir brauchen viele Maßnahmen: eine weitere und bessere Sicherung der EU-Außengrenzen und die hundertprozentige Registrierung. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dann machen Sie es endlich!) Frontex ist zu einer echten europäischen Grenzpolizei auszubauen. (Beifall bei der AfD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ein Offenbarungseid, was Sie hier machen!)“ In dieser Rede wurde Seif im Schnitt alle 15 Sekunden unterbrochen. Während sich Abgeordnete anderer Fraktionen darüber aufregen, ist man in der AfD-Fraktion zufrieden. Die Wutrede des Grünen Cem Özdemir über die AfD in der Debatte über den Journalisten Deniz Yücel hat auf Youtube viel Beifall bekommen, aber für die AfD war sie wie ein Aufputschmittel. Der Thüringer AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl sagt, Özdemir habe eine Solidarisierung mit der AfD ausgelöst. „Das macht uns stark.“ Im AfD-Strategiepapier hieß es schon 2016, man dürfe vor „sorgfältig geplanten Provokationen“ nicht zurückschrecken.

Alles nicht so gemeint

Alexander Gauland ist sehr begabt darin, Provokationen der eigenen Leute zu banalisieren. Der AfD-Fraktionschef hat für jeden Ausrutscher eine Begründung parat, um tatsächlichen oder vermeintlichen Tabubrüchen die Spitze zu nehmen. Meist sind nach Gaulands Lesart diejenigen im Unrecht, die sich darüber aufregen. Denn oft ist die AfD nach Gaulands Ansicht ein Opfer der politischen Korrektheit. Auf diese Weise schleichen sich in den Bundestag seit einiger Zeit Begriffe ein, die man dort bisher nur in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gehört hat: In der Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft nannte der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio den Doppelpass „entartet“, sprach von der „Flutung“ des Landes, von „kulturfremden“ Menschen und davon, dass das Volk angeblich „ausgetauscht“ werde, anstatt dass die Geburtenrate steigt.

Eine Partei, ein Thema

Es war zu erwarten, dass die AfD mit Anträgen zu Vollverschleierung, Grenzkontrollen und Rückführung syrischer Flüchtlinge die Themen umsetzt, die ihr den Weg in den Bundestag ermöglicht haben. Allerdings bringt die Fraktion das Asylthema auch dann unter, wenn die Inhalte einer Debatte weit davon entfernt sind. Dass die AfD etwa in einem Disput über die Klimapolitik argumentiert, die Flüchtlinge verschlechterten die CO2-Bilanz Europas, ist bemerkenswert. In einer Bildungsdebatte sagte der AfD-Redner, dass Asylbewerber „in immer größerer Anzahl von Bafög-Leistungen profitieren“. Als es um die Forderung nach einem Glyphosatverbot ging, behauptete ein AfD-Abgeordneter, die Grünen hätten zugesagt, diese Forderung aufzugeben zugunsten der Aufnahme einer größeren Anzahl an Flüchtlingen. Bei den Grünen fasste man sich an den Kopf.

Umdenken bei den anderen

Die Stärke der AfD liegt in der Außendarstellung. Das Parlament ist für die Partei nur eine Bühne. Schwach ist die Fraktion in den Ausschüssen des Bundestages. Die Neulinge erwerben sich nur zögerlich die nötigen Kompetenzen. Ihre Kernanliegen transportiert die AfD über ihre Online-Medien an die eigenen Mitglieder, Wähler und Unterstützergruppen. Die Atmosphäre im deutschen Parlament hat sich durch den Einzug der Rechtspopulisten verschlechtert, die Debatten werden zunehmend unsachlich, es gibt mehr Ordnungsrufe und mehr Rügen. Langsam reift unter den Abgeordneten die Erkenntnis, dass es töricht ist, auf jede Provokation zu reagieren. Die Formel „auseinandersetzen statt ausgrenzen“ könnte effektiver sein – schon allein um zu vermeiden, dass die AfD sich als Opfer gibt.

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