Bio-Lebensmittel Die „Körnerfresser“ sind salonfähig geworden

Hessen, Bad Soden: Hühner stehen im Ortsteil Altenhain vor einem Hühnermobil des Bioland-Hofs Pfeifer. Bioland, der größte Bio-A
Hessen, Bad Soden: Hühner stehen im Ortsteil Altenhain vor einem Hühnermobil des Bioland-Hofs Pfeifer. Bioland, der größte Bio-Anbauverband in Deutschland, feiert jetzt seinen 50. Geburtstag.

Lebensmittel haben immer Konjunktur. Und Bio erst recht. Seit Jahren wächst die Öko-Landwirtschaft; die Corona-Krise sorgte für einen weiteren Schub. Von diesem Trend profitiert auch Bioland. Der größte deutsche Bio-Anbauverband mit Sitz in Mainz feiert jetzt 50. Geburtstag.

„Wir waren die Körnerfresser. Die Durchgedrehten.“ Als sich Gertrud und Albert Pfeifer Ende der 1970er Jahre entschieden, ihren Bauernhof vor den Toren Frankfurts nach ökologischen Kriterien auszurichten und Kunstdünger, Pestiziden und Co. abzuschwören, schlug ihnen in ihrem Ort Unverständnis entgegen. „,Drei Jahre gebe ich euch, dann seid ihr weg’, sagte uns damals ein anderer Bauer“, erinnert sich die 74-jährige Hofbesitzerin. Jahrelang ging das so weiter mit den düsteren Vorhersagen.

Der skeptische Kollege sollte sich täuschen: Mittlerweile gibt es in Altenhain, einem Stadtteil der Taunusgemeinde Bad Soden, keinen einzigen konventionellen Landwirtschaftsbetrieb mehr. Die Pfeifers hingegen haben die Fläche ihres Biohofs von zehn auf 70 Hektar vergrößert. Im Laufe der Jahre haben sie ihr Sortiment erweitert, tatkräftig unterstützt von ihrem Sohn Andreas. Eine schwere Krankheit, die der heute 50-Jährige als kleines Kind hatte, brachte seine Eltern damals dazu, über Gesundheit, Lebensmittel, Umwelt und Landwirtschaft gründlich nachzudenken – und daraus ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Hof mit eigener Schlachtung

Schritt für Schritt stellten sie ihren Nebenerwerbsbetrieb um, erweiterten Hof und Sortiment. 1980 schlossen sie sich dem Bioland-Verband an. Sie gehören damit zu den Pionieren des heute nach eigenen Angaben größten deutschen Bio-Anbauverbands, der in diesen Tagen seinen 50. Geburtstag feiert.

In ihrem kleinen Hofladen, der viermal die Woche geöffnet hat, bieten die Pfeifers jede Menge Getreideprodukte an – die einstigen „Körnerfresser“ wissen, was sie ihrem Ruf schuldig sind. Aber auch Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch aus eigener Schlachtung gibt es. Albert Pfeifer ist schließlich gelernter Metzger. Geschlachtet wird mit EU-Zulassung auf dem eigenen Hof. Nicht immer einfach für den 75-Jährigen, auch aus emotionalen Gründen. „Da hat man auch schon mal eine Träne in den Augen“, sagt er über das Schlachten. Den Tieren erspart der Tod auf dem Hof den Stress längerer Fahrten zum Schlachthof.

Viel Stammkundschaft

Viele der rund 50 Rinder in dem Stall haben einen Namen, abzulesen auf einem kleinen gelben Band. Die Kälber dürfen länger als in konventionellen Betrieben bei ihren Müttern bleiben. Milch liefern die Kühe, die keine Jungtiere mehr säugen. Die Hörner hat man ihnen allen gelassen – trotz Verletzungsgefahr. Das gehöre sich so, finden die Pfeifers. Zu fressen bekommen die Rinder nur, was der Hof selbst erzeugt: Silage, Heu und Kraftfutter etwa. Wenn das Wetter es zulässt, dürfen Mutterkühe und Kälber demnächst auch wieder auf die Weide – bis zum Herbst.

Die Kunden des kleinen Bio-Betriebs kommen meist aus dem Frankfurter Speckgürtel – Stammkundschaft vor allem. Die Kundenzahlen schnellten immer hoch, wenn mal wieder ein Lebensmittelskandal die Verbraucher verunsichert, erzählt Gertrud Pfeifer. Auch zum Höhepunkt der Corona-Krise ging es bei den Pfeifers rund: „Da standen die Kunden Schlange bis auf die Straße.“

Dieses starke Interesse ist nicht nur im Taunus zu beobachten. Knapp 15 Milliarden Euro haben die Deutschen im Corona-Jahr 2020 für Bio-Lebensmittel und -Getränke ausgegeben, wie der deutsche Bio-Spitzenverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) in seinem Branchenreport mitteilt. Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln stieg den Angaben zufolge um 22,3 Prozent.

320 Betriebe in Rheinland-Pfalz

„Viele Menschen arbeiten im Homeoffice und kochen selbst“, erklärt Gerald Wehde, Geschäftsleiter Agrarpolitik und Kommunikation bei Bioland. „Dabei achten sie immer mehr auf die Qualität und Herkunft der Lebensmittel und landen bei Bio, möglichst aus dem Umfeld.“

Bioland wächst bei dieser Entwicklung mit und ist nach eigenen Angaben mit 8504 Betrieben auf einer Gesamtfläche von 475.068 Hektar (Stand Januar 2021) Deutschlands größter Bio-Anbauverband. In Rheinland-Pfalz gehören rund 320 Betriebe mit einer Fläche von 20.000 Hektar zu Bioland, im Saarland sind es 60 Betriebe mit 5000 Hektar. Seinen Hauptsitz hat der Verband seit 1998 in Mainz. „Hier haben wir eine geografische Mitte gefunden, von der aus wir sehr gut Kontakt zu unseren neun Landesverbänden halten können“, erklärt Wehde. Zudem sei der Standort verkehrstechnisch gut erreichbar. „Dass wir bereits seit über 20 Jahren hier sind, spricht für die Weitsicht bei der damaligen Entscheidung“, fügt er hinzu.

Die vor drei Jahren getroffene und damals nicht unumstrittene Entscheidung, Bioland-Produkte auch beim Discounter Lidl in die Regale zu bringen, hat sich nach Einschätzung des Verbands bewährt. „Mit der Ausdehnung unserer Partnerschaften im Handel erreichen wir immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher, die zuvor noch keinen Zugang zu Bioland-Produkten hatten“, betont Wehde.

Nach Ansicht von Bioland machen es der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft notwendig, die gesamte Landwirtschaft stärker an ökologischen Kriterien auszurichten. Dabei seien auch die hohen Umweltfolgekosten einer zu intensiven Bewirtschaftung und Massentierhaltung zu berücksichtigen. Daher fordere Bioland die Einführung von Abgaben auf synthetische Pestizide und Stickstoffmineraldünger, erklärte Geschäftsleiter Wehde.

wirtbiohuhn
Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x