Meinung Deutschland-Takt: 40 Jahre Verspätung?

Michael Theurer ist seit gut einem Jahr Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr.
Michael Theurer ist seit gut einem Jahr Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr.

Der Deutschland-Takt nach Schweizer Vorbild soll die Bahn hierzulande voran bringen. Der Satz, das geschehe „in den nächsten 50 Jahren“, nährt den Verdacht, dass das Projekt nicht ernst genommen wird. Das stimmt aber nicht.

Selten hat ein parlamentarischer Staatssekretär mit einem einzigen Satz so viel Wirbel ausgelöst wie Michael Theurer (FDP) mit der Ankündigung der Deutschland-Takt werde „in den nächsten 50 Jahren“ umgesetzt. Das wurde vielfach so verstanden, dass mit einem attraktiven Bahnangebot nach Schweizer Vorbild nicht vor 2070 zu rechnen ist.

Als Theurer vor gut einem Jahr Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr im von Volker Wissing (FDP) geleiteten Bundesverkehrsministerium wurde, erschien das als eine gute Wahl. Als langjähriger Oberbürgermeister der Stadt Horb am Neckar war er in der Bahnbranche als Gastgeber der „Horber Schienentage“ bekannt und hat sich in seiner Horber Zeit besonders für den Ausbau der Gäubahn (Stuttgart–Singen) engagiert. Er muss aber jetzt ausgerechnet als Staatssekretär und Schienenverkehrsbeauftragter miterleben, dass die Gäubahn mit „seiner“ Stadt Horb bald wegen „Stuttgart 21“ auf unabsehbare Zeit nicht mehr zum Stuttgarter Hauptbahnhof führt, sondern für die Fahrgäste Aussteigen im Vorortbahnhof Stuttgart-Vaihingen angesagt ist. Das gilt auch für die bald stündlich fahrenden Intercity-Züge aus Zürich, was in der Schweiz für viel Kopfschütteln sorgt.

Deutschland-Takt statt 2030 erst 2070?

In dem werbewirksamen Begriff „Deutschland-Takt“ bündeln sich gerade bei denen, die sich mit Details dieses komplexen Projekts nicht auskennen, die Hoffnungen auf einen so guten Bahnverkehr wie in der Schweiz. Es macht dabei einen Riesenunterschied, ob von deutschen Verkehrspolitikern in diesem Kontext die Rede von 2030 oder von 2070 ist. Theurers Äußerung hat, so ungeschickt sie war, bei fairer Betrachtung einen wahren Kern. Der vorliegende Zielfahrplan, der von dem Schweizer Unternehmen SMA stammt, erfordert mehrere Neubaustrecken, deren Planung teilweise noch in der Anfangsphase ist. Sie werden sicher nicht bis 2030 fertig sein. Auch in der Schweiz, die zu Recht als Vorbild gilt, hat es rund 20 Jahre gedauert, bis das Programm „Bahn 2000“ aus dem Jahr 1985 schließlich Ende 2004 in einer ersten großen Etappe umgesetzt werden konnte. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man zwei oder fünf Jahrzehnte für die Umsetzung eines solchen Konzepts anpeilt.

Die heftigen und zum Teil auch völlig überzogenen Reaktionen, die Theurers Äußerungen ausgelöst haben, sind aber wohl zu einem großen Teil dadurch zu erklären, dass sie in ein weit verbreitetes Bild zu passen scheinen, an dem die FDP-Spitze des Bundesverkehrsministeriums selbst schuld ist. Unter dem Eindruck wiederholter Landtagswahldesaster versucht die FDP sich vor allem mit Themen zu profilieren, die – wie beschleunigter Autobahnbau und Verbrenner-Aus in der EU – für viel Streit mit den Grünen sorgen. Ein Umsteuern zugunsten des Schienenverkehrs ist dagegen nicht zu erkennen, obwohl Wissing sich für die Bahn tatsächlich sehr viel mehr engagiert als seine Vorgänger aus der CSU.

Pünktlichkeit in der Schweiz vorbildlich

Vorbildlich ist der Bahnverkehr in der Schweiz nicht nur wegen des landesweiten integralen Taktfahrplans, sondern auch wegen seiner Zuverlässigkeit und hohen Pünktlichkeit. Beides ist die Frucht von jahrzehntelangen Investitionen in Qualität und einer intelligenten Planung. Bei beiden Themen gibt es in Deutschland großen Nachholbedarf. Erforderlich ist nun eine Sanierung des Bestandsnetzes und eine fahrplanbasierte Aus- und Neubauplanung. Damit beides möglichst bald und nicht erst in Jahrzehnten zu spürbaren Verbesserungen führt, ist es nötig, ähnlich hohe Beträge pro Einwohner in den Schienenverkehr zu stecken wie das die Schweiz schon seit langer Zeit tut.

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