Wirtschaft Der Angeklagte als Kläger: „HRE wurde von außen zerstört“

Was der frühere HRE-Chef Georg Funke im Strafprozess um den Milliardenkollaps der HRE-Bankengruppe gestern vor Gericht aussagte, eröffnet einen neuen Blick auf Vorgänge in der Finanzkrise 2008.

Achteinhalb Jahre hat es in Georg Funke gebrodelt. Jetzt bricht es aus dem Ex-Chef der deutschen Skandalbank Hypo Real Estate (HRE) geradezu heraus. Eigentlich muss sich der 61-Jährige als Angeklagter vor dem Landgericht München verantworten, weil er 2008 über die wahren Verhältnisse seines Kreditinstituts öffentlich gelogen haben soll. Mit Verteidigung hält sich Funke aber in seiner gut vierstündigen Replik auf die Anklage nicht lange auf. Er greift an, und zwar vor allem den Ex-Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, sowie den früheren Präsidenten der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Jochen Sanio. Beide haben sich nach Funkes Aussage verschworen, die HRE auch mittels Verbreitung von Lügen zum alles überschattenden Rettungsfall zu machen. Der Vorwurf klingt erst einmal unglaublich. Aber Funke schildert seine Version plausibel. Ackermann habe in der damals eskalierenden Finanzkrise von seiner Bank und anderen deutschen Großbanken ablenken wollen. Sanio habe unbedingt die deutsche Politik zum Kampf gegen die Finanzkrise mit ins Boot holen wollen. Denn die habe bis zum Fall HRE nicht begriffen, dass diese nicht nur die USA, sondern auch Deutschland betreffe. Die HRE selbst sei bis zuletzt kein Pleitekandidat gewesen, beteuert Funke und kann das mit Zahlen glaubhaft machen. Selbst nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers Mitte September 2008 habe sie noch über Finanzreserven von 36 Milliarden Euro und andere Mittel verfügt. Sich selbst mag der Westfale nur eines vorwerfen, und zwar, dass er nach der Lehman-Pleite Ackermann um einen 15 Milliarden Euro-Kredit gebeten habe. Das sei aber kein Notkredit gewesen. Funke belegt das mit eindeutigen Daten zur damaligen Liquiditätslage der HRE. Vielmehr sei es aus Vorsorge für den Fall einer weiteren Eskalation der Finanzkrise geschehen. Ackermann habe den Kredit auch rasch zugesagt und sei damit ein Mandanten- und damit Vertrauensverhältnis mit der HRE eingegangen. Kurz danach habe der Schweizer das aber schamlos missbraucht, hintergangen und die HRE in wahrheitswidriger Weise denunziert. Über die damals nicht existenzbedrohende Lage der HRE habe er erst gegenüber der Bundespolitik, Bafin und Bundesbank, dann gegenüber dem gesamten Finanzmarkt die Unwahrheit gesagt und den Immobilienfinanzierer zum hoffnungslosen Fall hochstilisiert. Ackermann habe den angeblichen Finanzbedarf der HRE auch eigenmächtig und ohne Rücksprache mit ihr von 15 auf 35 Milliarden Euro nach oben korrigiert. Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück habe den Ball aufgenommen und von einer „geordneten Abwicklung“ der HRE gesprochen. Dadurch sei ein Sturm auf den HRE-Bankschalter ausgelöst worden, sein Haus habe schlagartig kein Geld mehr bekommen und sei ruiniert gewesen. „Die Zahlungsunfähigkeit der HRE ist von Dritten ausgelöst worden“, sagt Funke. Die HRE hätte die Finanzkrise ohne Hilfe von außen überstehen können. Was Ackermann mit der HRE gemacht habe, sei vergleichbar mit dem, was dessen Amtsvorgänger Rolf Breuer bei der Kirch-Gruppe angerichtet habe, klagt der einstige HRE-Chef. Hier wie dort seien Kreditkunden hintergangen worden, um sie in die Pleite zu treiben. „Im Fall der HRE würde das bei einer rechtlichen Würdigung weite Kreise ziehen“, unkt Funke und meint damit auch Politik und Bafin. Die Frage ist, ob es zu einer solchen Würdigung kommt. Denn der Beinahe-Kollaps der HRE wird in München eigentlich gar nicht verhandelt. Angeklagt ist lediglich eine unwahre Darstellung der Lage der HRE durch ihre Vorstände. Bislang sind auch weder Steinbrück noch Ackermann als Zeuge geladen, was sich nach Funkes Wortschwall ändern könnte. Die Staatsanwaltschaft erwägt bereits einen entsprechenden Antrag. Funke bringt es auf den Punkt. „Wer müsste heute hier eigentlich sitzen?“, fragt er und meint damit die Anklagebank. Die Anklage gegen ihn sieht er ohnehin als gegenstandslos an. Wenn die HRE sogar nach der Lehman-Pleite nicht zahlungsunfähig und stets liquide war, dann folge daraus, dass er ihre Lage nicht beschönigt habe. Sein Vorstand habe alles korrekt geschildert und auch keine Managementfehler begangen, wie von der Staatsanwaltschaft behauptet. Vielmehr seien er und seine Bank 2008 in einer emotional aufgeladenen Atmosphäre, die bis in heutige Gerichtssäle nachwirke, an den Pranger gestellt worden. „Der Populismus hat seine Wirkung getan“, kritisiert Funke. An der Anklage lässt er jedenfalls kein gutes Haar. Die Staatsanwaltschaft reiße Fakten aus dem Zusammenhang und verschweige Entlastendes. Funke zeichnet das Bild von bankwirtschaftlich weitgehend ahnungslosen Juristen, die Denkfehler begehen und in ihrer Anklage mit Schrot schießen, in der Hoffnung, dass irgendwas schon treffen werde. Wer Funke bei seinen Ausführungen verfolgt, beobachtet einen Mann, der sich immer mehr in Rage redet und immer lauter wird. Hier rechnet einer ab. Noch schwerer wögen seine Worte, wenn sie sich bewahrheiten sollten. Die Frage ist, ob Richterin Petra Wittmann den Prozess derart ausweitet.

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