Eisenberg „Welt muss von unten geändert werden“

91-83760752.jpg

In Kasachstan wird die Baumwolle angebaut, in der Türkei entstehen die Fäden, in Taiwan wird gewebt, in Polen die Farbe hergestellt und in China genäht: Die lange Reise einer Jeans, bevor sie in Deutschland billig verkauft wird, haben Zehntklässler der IGS Eisenberg am Mittwoch im Evangelischen Gemeindehaus nachgezeichnet. Das war Auftakt der Veranstaltung der Fair-Trade-Verbandsgemeinde über „Buen Vivir“ mit der Band Grupo Sal und dem Visionär Alberto Acosta.

„Eine beeindruckende Einleitung“, sagte Landrat Winfried Werner, der daran erinnerte, dass die Menschen die Erde nur von ihren Kindern geliehen hätten. Aber es werde immer schwieriger, diese Leihgabe zu erhalten, „da wir nicht nachhaltig gedacht und gehandelt haben“. Der Wandel müsse, wie schon der Club of Rome festgestellt habe, in den Köpfen geschehen. Als Beispiel dafür, dass ein Umdenken eingesetzt habe, nannte VG-Beigeordneter Reinhard Wohnsiedler die Gründung der Kommunalen Eisenberger Energiepartner (Keep) GmbH, die ausschließlich Strom aus regenerativen Energien liefere. „Das ist unser Beitrag zum Ausstieg aus der Atomwirtschaft“, betonte er vor rund 120 Zuschauern. Der Wald gehe den Menschen voraus, danach bleibe Wüste, beklagte Grupo Sal, die „Stimme Lateinamerikas“, im Lied „Die Axt“ von Patricio Manns. „Wir sind die Krönung der Erschöpfung“, verdeutlichte der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler und einstige Energieminister Acosta. Im April 2014 begann er, zusammen mit der Band für die Idee von „Buen Vivir“ hierzulande zu werben. Die Weltanschauung der indigenen Andenvölker, die übersetzt „Gutes Leben“ heißt, sei nicht neu, aber die Zeit sei angesichts der weltweiten ökonomischen, sozialen, politischen und ökologischen Krisen reif dafür. „Unsere Existenz ist in Gefahr, wenn wir die Umweltprobleme nicht in den Griff bekommen“, so der 67-Jährige, der gerade sein erstes Buch zu diesem Thema auf Deutsch herausgebracht hat. „Alljährlich sterben allein 2,6 Millionen Menschen aufgrund der Luftverschmutzung, weitere Millionen wegen kontaminierten Wassers“, nannte er einige Zahlen. Und obwohl Nahrung für zehn bis elf Milliarden Individuen produziert werde, leide eine Milliarde an Hunger. Zwei wesentliche Grundpfeiler von „Buen Vivir“ seien die Verbundenheit mit Mutter Natur sowie der Gemeinschaftssinn: Solidarität statt Egoismus. Voraussetzung dafür sei, dass der Mensch mit sich und seiner Umwelt in Harmonie lebe. „Wir sollten nicht immer mehr wollen, immer größer, immer besser und immer schneller“, forderte Acosta eine Umkehr des Wachstums. Effizienz müsse durch Suffizienz (Verhaltensänderung in Richtung Selbstbegrenzung) ergänzt werden. Mit welchen Argumenten er denn die Mächtigen und Reichen zur Realisierung von „Buen Vivir“ bewegen wolle, fragte eine Frau aus dem Publikum. „Man muss eine Obergrenze für Reichtum setzen und die Steuerparadiese abschaffen“, so der Referent, der auch das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie ansprach. Mit linksgerichteten Staatsoberhäuptern habe Lateinamerika ja ganz gute Aussichten gehabt, meinte ein Mann und wollte wissen, wie Acosta die Annäherung Kubas an die USA beurteilt. „Ich hoffe, dass die Ansätze der kubanischen Politik gegen den Kapitalismus verteidigt werden können“, sagte der Ökonom. Unterstützt wurden seine Ausführungen, die teilweise im Dialog mit dem Lateinamerika-Experten Thomas Pampusch vertieft wurden, durch Beiträge von Grupo Sal. Die 1982 gegründete Band bezieht mit ihrer Musik Position zu brisanten entwicklungs- und umweltpolitischen Themen. In ihren leidenschaftlich vorgetragenen Liedern geht es mal um kolumbianische Widerstandskämpfer aus dem 16. Jahrhundert, mal um einen Peruaner, der einsam auf der Straße stirbt oder auch um die Liebesbeziehung eines Flusses zu einer sich ständig wandelnden Stadt. Acosta war bei der Präsidentenwahl 2013 in Ecuador Rafael Correa unterlegen. Ob er glaube, dass er als Präsident mehr hätte bewegen können als durch seine Reisen mit Grupo Sal, fragte ein Mann. Der Referent erklärte, dass ein Präsident, der das Parlament nicht hinter sich habe, kaum etwas bewirken könne. „Die Welt muss von unten geändert werden. Ohne Demokratie geht nichts.“ (abf)

x