Karlsruhe Vor 40 Jahren schafft Herbert Grönemeyer den Durchbruch mit „Bochum“

Gepresste Stimme, mal vernuschelte, mal hingeschleuderte Zeilen – seine Art zu Singen ist sein Markenzeichen.
Gepresste Stimme, mal vernuschelte, mal hingeschleuderte Zeilen – seine Art zu Singen ist sein Markenzeichen.

Herbert Grönemeyer wird bei seinen Konzerten am 9. und 10. August vor dem Karlsruher Schloss sicher auch Bochum-Stücke singen, mit dem ihm das Kunststück gelang, trotz großer Gefühle nicht nach Schlager zu klingen.

Einer Stadt schenkte er vor vier Jahrzehnten eine unverwechselbare Hymne, einem Land eine ganze Reihe gekonnt vernuschelter Klassiker fürs kollektive Gedächtnis. Mit der Platte „4630 Bochum“ – darauf Hits wie „Männer“, „Alkohol“ und „Flugzeuge im Bauch“ – gelang Herbert Grönemeyer der Durchbruch, an den so manche nicht geglaubt hatten. Heute gehört das Album zu den erfolgreichsten der deutschen Popmusikgeschichte.

Seine einstige Plattenfirma Intercord hatte Grönemeyer damals nach vier Studioalben wegen relativer Erfolglosigkeit rausgeschmissen. Auch die Verantwortlichen bei seinem neuen Label EMI in Köln mussten erst von seinen Plänen überzeugt werden: Als er dort sein nächstes Album „Bochum“ ankündigte, „haben die mich angeguckt, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank“, erzählte Grönemeyer der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. „Das kauft schon in Bottrop keiner“, hieß es. Die Rheinländer wurden eines Besseren belehrt.

„Bochum“ stand 140 Wochen in den Album-Charts

Seit es am 11. Mai 1984 zunächst auf Vinyl, Monate später dann als damals noch nachrangiges Medium CD erschien, hat sich „Bochum“ nach Angaben des Labels Universal mehr als drei Millionen Mal verkauft, räumt bis heute goldene Schallplatten ab. Immer wieder ist es in den letzten vier Jahrzehnten in die Albumcharts geklettert, hat sich so insgesamt 140 Wochen unter den Top 100 gehalten.

Der titelgebende Song über jene Stadt, die ihn so sehr prägte, der er aber damals bereits den Rücken gekehrt hatte, ertönt seit vielen Jahren nicht nur vor jedem Heimspiel des Fußballclubs VfL Bochum. Die Liebeserklärung an das Ungeschminkte der Bergbaustadt hat auch für ein Publikum aus dem Rest der Republik funktioniert: „Bei den Konsumenten von außen hat der Song weniger auf die Wahrnehmung der Stadt eingezahlt, sondern eher auf die Wahrnehmung von Grönemeyer als authentischem Künstler: Da ist einer, der weiß, wo er herkommt und der freut sich daran, dass dort nicht alles perfekt ist“, sagt Musikfachmann Derek von Krogh, künstlerischer Leiter der Popakademie Baden-Württemberg.

Mit 28 Jahren – dieses Bild entstand zwei Jahre zuvor in einer Pause – landete Herbert Grönemeyer seinen Album-Hit, der mehr als
Mit 28 Jahren – dieses Bild entstand zwei Jahre zuvor in einer Pause – landete Herbert Grönemeyer seinen Album-Hit, der mehr als drei Millionen Mal verkauft wurde.

Tatsächlich dürften es vor allem die Auskopplungen „Männer“, „Flugzeuge im Bauch“ und „Alkohol“ gewesen sein, die die Verkaufszahlen ankurbelten: „Diese Titel kennt nahezu jeder – sie haben es ins Volksliederbuch der deutschen Popmusik geschafft“, stellt Musikproduzent von Krogh anerkennend fest. „Grönemeyer hat damit nicht nur eingefleischte Musikfans erreicht, sondern auch Leute, die sonst keine Musik hören. Das ist eine Trophäe, die nur wenige Künstler für sich in Anspruch nehmen können.“

Die Veröffentlichung von „4630 Bochum“ fiel in eine Zeit, die der Popmusik-Experte als goldene ausbalancierte Mitte der 80er beschreibt: Die Neue Deutsche Welle mit ihren lebensbejahenden und sinnverneinenden Texten und piepsigen Klängen ebbte gerade ab, die „komplett verschulterpolsterten späten 80er mit ihren großen Dauerwellen und noch größeren Sounds“, so von Krogh, hatten noch nicht begonnen. „Grönemeyer kam nun mit diesem ungenierten Pathos und einer Form von emotionaler Verbindlichkeit, die es davor jahrelang nicht gegeben hatte – und die sich heute immer noch wenige trauen“, sagt von Krogh. Grönemeyer, damals 28 Jahre alt, sang über seine Zeit, Geschlechterrollen, Heimatverbundenheit, Liebe, Sehnsucht und ambivalente Gefühle.

Wieso Grönemeyer nicht nach Schlager klang

Der noch handgemacht klingende Deutsch-Rock war dank „größer werdenden Synthesizer-Klangwelten“ modern genug, um sich vom Schlager abzugrenzen. Vor allem aber habe Grönemeyer mit seinem besonderen Habitus im Gesang einen Gegenpol gesetzt: „Die Kantigkeit im Gesang, die er als singender Theaterschauspieler mitbrachte“, die Anleihen aus dem Soul, etwa wenn er am Wortende kleine Schlenker einbaue, seine Vorliebe für sperrige Begriffe und Textzeilen – all diese laut Krogh Grönemeyers Gesamtwerk prägenden Elemente seien auf der Platte bereits sichtbar: „Wer heute ,Bochum’ hört, sagt nicht: Das klingt wie die Mid-Eighties, der sagt: ,Das klingt wie Grönemeyer’.“

Längst ist seine Art zu Singen – gepresste Stimme, mal vernuschelte, mal hingeschleuderte Zeilen – sein Markenzeichen geworden. Heute kokettiert er gerne damit, dass sein Gesang anfangs für Kopfschütteln bei Produzenten und Hörern sorgte. So sei die erste Auskopplung „Männer“ zunächst im Radio gar nicht gespielt worden, erinnert Grönemeyer in zahlreichen Interviews, weil man ihn nicht habe verstehen können. „Ich singe halt wie ich auch küsse“, erklärte Grönemeyer vergangenes Jahr in der TV-Talkshow „3 nach 9“ des Senders Radio Bremen: „nicht deutlich, aber hoffentlich manchmal gut“.

Neue Versionen zum Jubiläum

Einmal entdeckt, entwickelte sich Grönemeyer über die Jahrzehnte zum liebsten Pop-Poeten der Deutschen: Es folgten Hits wie „Kinder an die Macht“, „Was soll das“ und mit „Mensch“ im Jahr 2002 schließlich eine Platte, die gemessen in Verkaufszahlen Bochum noch den Rang ablaufen sollte. Das jüngste Studioalbum Grönemeyers „Das ist los“ stieg 2023 auf Platz zwei der Albumcharts ein und bot Anlass für zahlreiche Konzerte in vollen Arenen und Stadien.

Vielen der 40 Jahre alten Hits von „Bochum“ hält Grönemeyer bis heute bei Auftritten die Treue. Ein jüngeres Publikum soll die ikonischen Bochum-Klassiker in diesem Sommer in neuem Gewand entdecken: Eine Neuauflage von „Flugzeuge im Bauch“ mit der Sängerin und Rapperin Céline machte den Anfang, dann folgte eine elektronische „Männer“-Neuinterpretation der Musikerin Dilla. Insgesamt sollen nach Angaben von Universal drei weitere Neuaufnahmen als Hommage junger Künstler an Grönemeyer und sein Repertoire erscheinen. dpa

Termine

Herbert Grönemeyer tritt vor dem Start der Schlosslichtspiele am 9. und 10. August open air vor dem Karlsruher Schloss auf. Die Tickets für den 9. August sind nahezu ausverkauft. Tickets für den 10. August sind bei Eventim erhältlich.

x