Rheinpfalz Tief bewegende Forschung

Forscht im Speyerer Landesarchiv: Polizist Markus Hoffmann.
Forscht im Speyerer Landesarchiv: Polizist Markus Hoffmann.

«Speyer.» Das Landesarchiv in Speyer ist eines von drei Archiven in ganz Deutschland, in dem Akten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) aus der Nazi-Zeit lagern. Seit einiger Zeit kooperiert die Einrichtung mit der Polizeischule des Landes. Polizisten schreiben ihre wissenschaftlichen Abschlussarbeiten über die Fälle.

„Der Mann, dessen Fall ich untersucht habe, muss nach fünf Jahren innerlich gebrochen sein“, sagt Markus Hoffmann. Er hat seine Bachelorarbeit über einen Mann aus dem heutigen Rheinland-Pfalz geschrieben, der im Konzentrationslager gelandet ist, weil er zu den Bibelforschern gezählt wurde. „Heute würde man sie Zeugen Jehovas nennen“, erläutert der Hauptkommissar. Wie viel war Willkür der Behörden? Ist die Geheime Staatspolizei selbst aktiv geworden und hat Menschen verfolgt? Hatte ein Mensch wie eben jener Bibelforscher eine Chance, im KZ objektiv beurteilt und freigelassen zu werden? Diese Fragen hat Hoffmann versucht zu beantworten. Dazu hat er vier Fälle mit eben jenem verglichen. Hoffmann ist einer von gut zehn Polizisten, die dieses Jahr ihre wissenschaftliche Abschlussarbeit über die in Speyer erhaltenen Gestapo-Akten verfasst haben. Im September werden sie ihre Ergebnisse unter anderem im Landesarchiv vorstellen. Der Bibelforscher, um den es in Hoffmanns Arbeit geht, wurde in sogenannte Schutzhaft genommen. „Man hat es offiziell so begründet, dass man die Menschen vor der Gesellschaft schützen möchte, die ihren Glauben nicht teilt. Man habe keinen Groll aufbauen wollen, hieß es. Natürlich war das ein Vorwand“, sagt Hoffmann. Eine andere Glaubenseinstellung sei damals ein Zeichen dafür gewesen, dass man die Menschen nicht vom Gedankengut der Nazis habe überzeugen können. Grundlage für die Verhaftung war die Reichtagsbrandverordnung, die die Nazis 1933 erlassen hatten, um ihre Macht abzusichern. Die Gestapo sei in den meisten Fällen nicht von sich aus aktiv geworden. „Es gab auch keine Ermittlungen gegen Bibelforscher, die zum ersten Mal auffällig wurden“, berichtet der Polizist. Erst nach einer Geldstrafe sei der Bibelforscher für sie ein Thema geworden. „Der Mann hatte keine Möglichkeit, das gerichtlich prüfen zu lassen“, sagt der Polizeihauptkommissar. Schließlich landete der Mann im KZ in Dachau, wurde später verlegt ins österreichische Mauthausen. Bibelforscher waren den Nazis ein besonders großer Dorn im Auge, wie Hoffmann herausgefunden hat: „Sie leisteten auch im KZ noch Widerstand und blieben bei ihrer Überzeugung.“ Alle drei Monate habe es eine Prüfung gegeben, ob sich der Häftling gebessert hat“, so Hoffmann. Für die Häftlinge gab es Führungszeugnisse. Die Gestapo-Beamten hätten grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, selbst zu entscheiden. „Viele haben aber die Begründung vom KZ übernommen. Einige Beamte hatten aber versucht, sich ein eigenes Bild zu machen anhand der Aktenlage“, berichtet der Polizist. Die für Hoffmanns Fälle zuständige Gestapo befand sich in Neustadt. In den ihm vorliegenden Akten fand er häufig inhaltsleere Begründungen. „Dass er ein fanatischer Bibelforscher sei, wurde in fast alle Akten übernommen“, sagt Hoffmann. Einzige Möglichkeit, das KZ zu verlassen, war dem Glauben abzuschwören. „Ende 1940 unterzeichnete er schließlich die schriftliche Erklärung.“ Also gab sich der Mann wohl geschlagen. Hoffmann hat dieser Fall tief bewegt. „Es ist etwas anderes, wenn man eine Original-Akte in den Händen hält oder wenn man Berichte im Fernsehen sieht“, erklärt er. Er hat versucht, die Nachkommen des Bibelforschers ausfindig zu machen, blieb aber bislang erfolglos. Für ihn selbst als Polizist bleibt die Erkenntnis: „Wichtig ist die Neutralität und Objektivität bei Ermittlungen.“

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