Rheinpfalz „Passt nicht zum Atomausstieg“

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„Wir sind hier alle paralysiert, wie vor den Kopf geschlagen“, hält Bürgermeister Thomas Leis (SPD) die angekündigte Stilllegung des Kohlekraftwerks Bexbach für „ein absolutes Unding“, Die rund 100 Mitarbeiter des Kraftwerks müssten um ihre Arbeitsplätze zittern. Wie gestern im Wirtschaftsteil gemeldet, hat die Betreiberfirma Steag am Mittwoch verkündet, dass sie 2017 drei ihrer Kohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen schließen wolle – und ihre beiden saarländischen Standorte Quierschied-Weiher und Bexbach.

Am Mittwoch, so Thomas Leis, sei er in einer E-Mail vom Kraftwerksbetreiber Steag kurz informiert worden. Anhaltend niedrige Strompreise, so heißt es bei dem Essener Konzern, hätten „zu einer zunehmenden Unwirtschaftlichkeit vieler konventioneller Großkraftwerke in Deutschland“ geführt. Am Mittwoch, so Steag-Sprecherin Bettina Feldgen, habe man bei der Bundesnetzagentur „die rechtlich verbindliche Anmeldung von fünf Kraftwerksblöcken zur Stilllegung im Laufe des Jahres 2017“ eingereicht. Betroffen seien neben den beiden saarländischen Standorten drei nordrhein-westfälische Kohlekraftwerke. Damit kündigt der Konzern die Stilllegung von etwa 40 Prozent seiner bundesweiten Steinkohle-Kapazität im Gesamtvolumen von knapp 2500 Megawatt an. Deutschlandweit steht der Verlust von 800 bis 1000 Kraftwerks-Arbeitsplätzen im Raum, davon etwa 300 an der Saar. Nach Aussage des Steag-Konzernbetriebsratsvorsitzenden Ralf Melis wurde mit der Geschäftsführung und der Gewerkschaft IG BCE ein „Konzernsozialplan und Rahmeninteressenausgleich erarbeitet“, um den „Stellenabbau sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen zu vollziehen“. Wie dies genau geschehen soll, wird bis dato nicht näher erläutert. Bevor der Konzern seine Kraftwerke abschalten darf, muss er sich dies genehmigen lassen. So hat die Bundesnetzagentur zu prüfen, ob und welche der betroffenen Anlagen als „systemrelevant“ für die Stromversorgungssicherheit in Deutschland einzustufen sind: Würde zum Beispiel Bexbach in diese Kategorie fallen, müsste es auch künftig mindestens betriebsbereit gehalten werden. Immerhin gilt Bexbach als größter, modernster und leistungsfähigster Steag-Kraftwerksstandort im Saarland. Die Leistung wird mit 773 Megawatt angegeben. In Betrieb genommen wurde die Anlage am 12. Oktober 1983. Nach Aussage von Olaf Peter Eul, Sprecher der Bundesnetzagentur, muss der Antrag mindestens ein Jahr vor dem geplanten Zeitpunkt der Stilllegung eingereicht werden: „Das heißt, dass vor November 2017 nicht abgeschaltet werden kann.“ Man benötige ein Jahr, um ermitteln zu können, ob das betreffende Kraftwerk auch in Zukunft für die Netzsicherheit gebraucht wird. Ob die Anlage in Bexbach also unverzichtbar für die „System-Stabilität“ bei der deutschen Stromversorgung sei, müsse vom sogenannten Übertragungsnetz-Betreiber geprüft werden: Dies wiederum sie die Dortmunder Firma Amprion. Das Unternehmen betreibt ein deutschlandweit etwa 11.000 Kilometer umfassendes Hochspannungsnetz. Sollte Amprion feststellen, dass man auch künftig auf den Strom aus Bexbach nicht verzichten könne, „müsste der Übertragungsnetz-Betreiber die Angelegenheit mit der Steag ausfechten und zur Not rechtlich klären lassen“, führte Eul gestern weiter aus. Übrigens, so präzisierte der Sprecher der Bundesnetzagentur, habe die Steag ihre drei nordrhein-westfälischen Kraftwerke „zur endgültigen Stilllegung“ angemeldet, während im Antrag bezüglich der beiden saarländischen Anlagen nur vom „vorläufigen“ Dichtmachen die Rede sei. Man könnte dies so verstehen, dass die beiden saarländischen Kraftwerke eines Tages wieder in Betrieb genommen werden sollen, wenn am Strommarkt wieder höhere Preise bezahlt werden. Sollte das Kraftwerk Bexbach von Amprion als „relevant für die Netzstabilität“ eingestuft werden, so Olaf Peter Eul, müsste es „weiterhin vorgehalten werden“. Die Kosten dafür und für den Fall, dass es bei Versorgungs-Engpässen kurzfristig wieder zum Laufen gebracht werden muss, seien der Steag dann künftig „vom Übertragungsnetzbetreiber Amprion zu erstatten“. Beobachter gehen davon aus, dass der Konzern in diesem Fall als Mitwirkender bei der bundesweiten Netzregulierung mit seinem Kraftwerk mehr Geld verdienen kann, als dies mit den bloßen Einnahmen über den Stromverkauf an der Strombörse möglich wäre. „Trotz seines Alters ist das Kraftwerk in unserer Stadt auf dem allerneuesten Stand der Technik“, verweist Bexbachs Bürgermeister Thomas Leis auf „Spitzenwerte“ etwa bei der Schwefelrückhaltung und Entstaubung. „Und der Wirkungsgrad ist einer der höchsten in ganz Deutschland.“ Zwar könne er den Standpunkt der Steag-Verantwortlichen in rein wirtschaftlicher Hinsicht „durchaus nachvollziehen“, sagt Leis, doch gehe es hier um viel mehr: „Wenn eine unternehmerische Entscheidung wichtiger sein soll als der vom Bund beschlossene Atomausstieg, dann weiß ich wirklich nicht, was das alles soll.“ Denn zumindest im Moment noch sei in der Bundesrepublik der Strom aus der Steinkohle „mehr gewollt als die Atomenergie. Wie kann man jetzt in Deutschland schleichend aus der Steinkohle-Energie aussteigen, während so viele Atomkraftwerke immer noch munter am Netz sind?“, fragt der Bexbacher Stadtchef.

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