Rheinpfalz Ihre Chance: résistance

Musikalischer Arbeitskampf: Der Alstom-Chor setzte sich musikalisch für den Erhalt der Jobs bei der Firma Alstom ein – wie hier
Musikalischer Arbeitskampf: Der Alstom-Chor setzte sich musikalisch für den Erhalt der Jobs bei der Firma Alstom ein – wie hier bei einem Streikauftritt vor dem Bombardier-Werk in Mannheim im Oktober 2016.

«Mannheim.» Es ist kein Zufall, dass sich die Gründungs- und langjährigen Chormitglieder Wolfgang Alles, Giovanni Sarro, Yamina Rausch und Bernd Köhler im Besprechungszimmer des Mannheimer Gewerkschaftshauses der IG Metall treffen. Denn bis heute sind sie mit der IG Metall eng verbunden. Mit Ausnahme des Musikers Bernd Köhler, den die meisten unter dem Spitznamen „Schlauch“ kennen, waren sie alle Mitarbeiter des französischen Unternehmens Alstom, das einen Sitz in Mannheim hatte und vor ein paar Jahren vom amerikanischen General Electrics-Unternehmen (GE) aufgekauft wurde. Wie viele andere Alstom-Mitarbeiter mussten auch sie im Jahr 2003 um ihren Job fürchten. „Wir fuhren damals mit 900 Kollegen nach Paris zu einer internationalen Demo gegen den Arbeitsplatzabbau bei Alstom“, erinnert sich der Speyrer Alles noch ganz genau. Eines habe die Deutschen in Frankreich dabei ganz besonders beeindruckt: „Die Art und Weise, wie in Frankreich demonstriert wird. Mit Musik und Remmidemmi. So richtig kämpferisch aufmunternd.“ Auf der Rückfahrt von Paris keimte die Idee auf, Ähnliches auch in Mannheim zu machen. „Denn immerhin ging es um den Standort, um unsere Existenz“, betont Alles. Doch wie? Ein Kollege vom Betriebsrat der Firma Vögele, Hartmut Siebenhaar, hatte da eine Idee. Es fiel der Name „Schlauch“. Köhler war gerade beim Straßekehren, als Hartmut Siebenhaar ihn besuchte und sagte: „Wir haben beschlossen, dass Du uns ein Lied schreiben musst!“ „Schlauchs“ erste Reaktion: „Ihr seid doch nicht ganz sauber“, erzählt Siebenhaar lachend. Der Mannheimer Liedermacher „Schlauch“ widmete sich in seinen Texten zwar schon immer politischen Themen, war bundesweit auf Friedensdemos unterwegs, trat für Gewerkschaften auf. „Doch das Interesse an politischen Liedern ging Anfang der 1990er-Jahre schlagartig und enorm zurück“, erklärt der gelernte Grafiker, warum er sich seitdem eigentlich nicht mehr viel mit den Gewerkschaften musikalisch beschäftigt hatte. Letztendlich entschied sich Köhler aber doch, ein Lied zur Unterstützung zu schreiben. Die kämpferische Atmosphäre sei es gewesen, in der er sich heimisch fühlte und die ihn motivierte. So entstand schließlich der Song „Unsre Chance: résistance“. Und mit ihm die Grundlage für die folgenden 15 Jahre Alstom-Chor. „Als ich den Leuten das Lied vorspielte, habe ich gleich gesagt, dass ich es nicht für sie singen werde. Das müssten sie selbst tun, denn das sei ihr Lied“, erinnert sich der 67-jährige „Schlauch“. Die erste Reaktion der Mitstreiter: Schock. Die zweite: ein Aufruf im Unternehmen, dass ein Chor gegründet werden soll. Rund 15 Freiwillige meldeten sich. „Die meisten waren Gesangslaien“, sagt der Ludwigshafener Giovanni Sarro mit einem Lachen, der selbst zumindest schon in einem Kirchenchor aktiv war. Doch die Proben zeigten Erfolg. Im September 2003 war es dann so weit: Der erste große Auftritt bei einer Demonstration am Mannheimer Wasserturm stand an. Und wie kam es bei den Leuten an? „Sie waren erst einmal distanziert“, so Alles. Nicht jeder wurde mit der quasi neu gegründeten Tradition gleich warm. „Die Arbeiterlieder waren ja verschwunden“, erklärt die Mannheimerin Yamina Rausch. Doch die Distanz sollte mit der Zeit schwinden. „Irgendwann hieß es: Genau das haben wir gebraucht“, sagt Sarro. Seine beste Zeit habe der Alstom-Chor in den ersten sieben Jahren gehabt, erzählt „Schlauch“. Die Sängerinnen und Sänger waren viel unterwegs, unterstützten andere Arbeiter, das Repertoire wuchs – und der Kampf gegen den Arbeitsplatzabbau bei Alstom zeigte Erfolg. 2005 hieß es, dass die Kündigungen zurückgenommen werden. Die Vier sind sich sicher, dass der Chor seinen Teil dazu beigetragen hat. Mit ihm hätten die Arbeiter Stärke und Zusammenhalt demonstriert, was wohl auch die Arbeitgeberseite beeindruckt habe, sagt Alles. 2015 wurde Alstom schließlich von GE übernommen. Und das Chortreiben erlitt einen Bruch. „Die Identifikation mit GE war nicht mehr da. Auch nicht mehr der harte Kern der Mitarbeiter“, erzählen die Chormitglieder. Köhler beschloss, sich nach 15 Jahren auszuklinken. Doch begraben ist der Alstom-Chor damit nicht. Immer mal wieder treffen sich Mitglieder zum Singen. Auf Mai-Demos oder anderen Gelegenheiten, in denen ihr Gesang zeigen soll: Zusammenhalt lohnt sich.

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