Rheinpfalz „Es kommen dauernd neue Drogen auf den Markt“

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SPEYER. Die Speyerer Suchtberatungsstelle Nidro ist Teil des Therapieverbunds Ludwigsmühle. Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat vergangene Woche zugesichert, keine weiteren Kürzungen bei den Zuschüssen vorzunehmen. Wir haben mit den neuen Geschäftsführern Bernhard Pollich und Dirk Kratz gesprochen.

Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen? Kratz:

Wir haben uns gefreut. Der politische Halt ist für uns ganz wichtig. Der Suchthilfebereich ist im Haushalt nicht so üppig ausgestattet wie andere Bereiche, so dass Kürzungen dort immer sehr stark einschlagen. Pollich: Eine Konstanz in der Drogenhilfe ist eine Stütze der Gesellschaft. In der Drogenszene ist ja fast schon Land unter. Es kommen dauernd neue Drogen auf den Markt. Es wird immer schwerer, einen Gebrauch nachzuweisen oder zu überblicken, was überhaupt alles auf dem Markt ist. Inwiefern Land unter? Pollich: Weil Drogen mittlerweile leichter denn je zugänglich sind. Es gibt neue Absatzwege, auch über das Internet, und immer wieder neue Substanzen, wie Kräutermischungen oder Badesalze. Legal Highs ist der Fachausdruck für Drogen am Rand der Legalität. Was bedeutet das für Ihre Arbeit? Pollich: Wir müssen uns auf neue Drogen einstellen und schwere Verlaufsformen von Sucht. Bei den Kräutermischungen werden Cannabinoide künstlich nachgebaut. Die haben eine 20-fach höhere Dosierung, die schwere Schäden verursachen können. Das führt zu Psychosen und Horrortrips bis zur Selbstverstümmelung. Es sind schnellere und stärkere Abhängigkeiten. Wie schnell können Sie auf solche Entwicklungen reagieren? Kratz: Suchthilfe ist eine individuelle Arbeit. Man muss schauen, welches Mittel genommen wurde, und auch warum. Dabei sind Trends in der Szene schon beinahe egal, vor allem wenn sie sich so schnell ändert. Pollich: Wir können nicht mehr eindeutig nachweisen, was genommen wurde. Letztlich können wir nur ganzheitlich psychotherapeutisch reagieren. Welche künftigen Herausforderungen sehen Sie? Pollich: Die Menschen kommen aus schwierigen Lebensverhältnissen. Oft war der einzige Weg, ihre Gefühle zu kontrollieren, die Einnahme von Drogen. Wie kann ich meine Emotionen künftig anders regeln als mit Drogen, lautet daher die Frage. Das ist das eine. Das andere ist, mit den Klienten für sie sinnstiftende Strukturen anzubieten und über Adaption und Nachsorge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Schwerpunkt bei der Vermittlung in den Arbeitsmarkt wird sein, besser mit Schnittstellen zusammenzuarbeiten. Wen holen Sie ins Boot? Kratz: Das sinnstiftende Element, also Arbeit an sich, das ist wichtig, um einen Alltag aufzubauen. Die Klienten müssen dafür schulische und berufliche Kompetenzen sowie Alltagskompetenzen nachholen. Das wird eine immer komplexere Aufgabe, weil sie sich auch an den immer schneller werdenden Arbeitsmarkt angleichen müssen. Umso komplexer wird auch die Arbeit in der Adaption, wenn ich Praktika aufbauen will, die nicht einfach Arbeitsverhältnisse sind, wo jemand Regale einräumt, aber am Ende kein Arbeitsplatz dabei herausspringt. Was muss es dann sein? Es sollte eine Arbeit sein, bei der man eine Wertschätzung für sich entwickelt. Die Frage wird sein: Wo kann ich jemanden, der leistungseingeschränkt ist und dies noch Monate oder gar Jahre sein wird, eingliedern? Da ist auch die Rentenversicherung gefragt. Man muss zusammen neue Nachsorge-Ideen entwickeln, etwa um geförderte Arbeitsplätze anzubieten. Es gibt keine Angebote für jene, die sich zwischen Hartz IV und Sozialhilfe befinden. Sie fallen in ein Loch zwischen den Rechtskreisen und kommen aus eigener Kraft nicht mehr heraus. Haben Sie diesbezüglich schon Gespräche geführt? Kratz: Ich habe auch mit den Jobcentern vor Ort schon gesprochen, aber das muss weitergehen. Ziel ist es, mit politischer Begleitung einen Runden Tisch zu organisieren, an dem alle Leistungsträger aus der Region sitzen, beispielsweise die Krankenversicherungen, die DRV, die Kommunen. Es macht einfach keinen Sinn, dass unsere Klienten Therapien durchlaufen und anschließend wieder durch die Löcher des Wohlfahrtsstaats fallen, vielleicht rückfällig werden, weil sie keine sichere und sinnstiftende Arbeit finden. Welche Rückmeldungen haben Sie bekommen? Kratz: Die Arbeitsagenturen waren zwar sehr offen, und allen Beteiligten ist die Problematik der Integration von Suchtkranken auf dem Arbeitsmarkt seit über 20, 30 Jahren bekannt. Es entwickelt sich aber nicht wirklich etwas. Was wäre nötig? Kratz: Wir brauchen einen starken politischen Rückhalt und das gemeinsame Interesse, Neues auszuprobieren. Die Suchtkranken sitzen zwischen den Stühlen. Werkstätten für Behinderte oder Integrationsbetriebe sind in ihrer aktuellen Form nicht die richtigen Ansätze. Also ist die Nachricht Bätzing-Lichtenthälers vom Landeszuschuss doch nicht mehr so positiv und Sie bräuchten mehr Geld? Kratz: Wir erhalten ja nicht nur Landesmittel und gerade bei diesem Projekt ist es auch nötig, dass sich die Beteiligten im Netzwerk finanziell einbringen und Risiken gemeinsam tragen. Zur Person Dieter Kratz und Bernhard Pollich sind die neue Doppelspitze des Therapieverbunds Ludwigsmühle. Ihr Vorgänger, Jürgen Wolf, hatte sich nach einem Jahr im Amt entschieden, eine Praxis zu eröffnen. Kratz kümmert sich seit Mai um das Management und den pädagogischen Bereich, Pollich ist seit August Chefarzt.

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