Eisenberg „Einfach aussitzen geht nicht mehr“

Der Mainzer Paukenschlag bewegt auch die Politiker vor Ort. Dass der Blick jetzt in die Zukunft reichen sollte, darin waren sich die politischen Vertreter sogar einig. Nur wie diese Zukunft aussehen sollte, darin gehen die Meinungen auseinander.

„Ich habe mit einer Kabinettsumbildung gerechnet. Überrascht hat mich der Umfang“, sagte SPD-Kreisvorsitzender Gustav Herzog gestern auf die Frage, ob er das Stühlerücken in Mainz so erwartet hatte. Den Zeitpunkt sehe er im Hinblick auf den SPD-Landesparteitag am 15. November als nachvollziehbar an. „Ich hoffe, dass es jetzt wieder gelingt, andere Themen mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Ich habe es immer bedauert, dass es zuletzt nur noch um Vergangenheitsbewältigung, nur noch um Nürburgring gegangen ist.“ Auch ärgere er sich darüber, dass so unterschiedlich gelagerte Fälle wie der Nürburgring oder der Flughafen Zweibrücken zusammen gesehen werden. Im Fall der Nürburgring-Pleite seien mehrfach Fehler eingeräumt, sei Verantwortung übernommen worden. Der Blick müsse jetzt wieder nach vorne gehen, er erwarte gerade von Alexander Schweitzer eine gewichtige Rolle in der Fraktion. Dass die Donnersberger Landtagsabgeordnete Margit Conrad ihr Ministeramt verliere, habe aus seiner Sicht wie bei Jochen Hartloff nichts mit der Person zu tun, sondern mit dem Wunsch, den Neubeginn auch umfassend zu gestalten. Dass Innenminister Roger Lewentz dagegen im Amt bleibe, habe seiner Einschätzung nach auch mit seiner starken Rolle als Landesvorsitzender der SPD zu tun. Er könne verstehen, dass die Opposition jetzt „mit den Hufen scharre“ und Neuwahlen fordere, das sehe er gelassen. „Neuwahlen finden dann statt, wenn die Ministerpräsidentin keine Mehrheit mehr hat im Landtag. Und das ist nicht der Fall“, so Herzog. Ob die Basis die Partei durch die Entwicklung geschwächt sehe, könne er aus bisherigen Rückmeldungen nicht bestätigen, wohl aber, dass Erklärungsbedarf artikuliert werde. Er freue sich daher, dass am Samstag auf dem Unterbezirksparteitag in Imsbach (10 Uhr, Gemeindehalle, mit Vorstandsneuwahlen), der jedem Interessierten offenstehe, zeitnah Gelegenheit sei zum Austausch und um Näheres von Alexander Schweitzer und Margit Conrad selbst zu hören. Das Signal für einen Neuanfang, das durch die Kabinettsumbildung gegeben wird, hält Jaqueline Rauschkolb, stellvertretende Eisenberger SPD-Vorsitzende und Juso-Landeschefin, für richtig. Der Schritt sei notwendig, „um die Aufmerksamkeit vom Nürburgring wieder auf andere wichtige Themen im Land wie Fachkräftemangel und Bildung zu lenken“. Gleichzeitig demonstriere Malu Dreyer damit, dass sie die Vorwürfe rund um das Thema Nürburgring ernst nehme. Dass Finanzminister Carsten Kühl und SPD-Fraktionschef Hendrik Hering gehen müssen, ist für die Eisenbergerin nachvollziehbar, während sich ihr die Entscheidung, Justizminister Jochen Hartloff und Europaministerin Margit Conrad zu ersetzen, nicht vollständig erschließt. „Wir können über die Arbeit von Margit Conrad nicht klagen“, sagt sie. Die Forderung nach Neuwahlen, wie sie die CDU erhebt, halte sie für falsch: „Man wählt schließlich Parteien und nicht ein Kabinett.“ Den richtigen Zeitpunkt für eine Regierungsumbildung habe man verpasst, meinte dagegen die Donnersberger CDU-Landtagsabgeordnete Simone Huth-Haage: „Frau Dreyer hätte diesen Schritt gehen sollen, als sie das Amt der Ministerpräsidentin übernahm, spätestens aber nach Bekanntwerden des Rechnungshofberichts.“ Mittlerweile sei zu viel Vertrauen verspielt worden, ein sauberer Schnitt sei nur durch Neuwahlen möglich. Gegen einen echten Neuanfang spreche auch, dass die Minister Lewentz und Ahnen nach wie vor im Amt seien. Das Fass zum Überlaufen habe wohl die Tatsache gebracht, dass jetzt ein russischer Oligarch den Ring übernehme. „Das, was man erklärtermaßen niemals wollte, passiert jetzt“, so Huth-Haage. Es sei auch schwer, den Menschen im Wahlkreis zu vermitteln, dass für Projekte wie die wichtige Familienhilfe oder für Schwangerenberatung das Geld fehle, es für millionenschwere Prestigeobjekte aber zum Fenster hinausgeworfen werde. Doris Hartelt, Sprecherin der Grünen im Donnersbergkreis – in Mainz ist die Partei bekanntlich Koalitionspartner der SPD – sieht, dass mit der massiven Kabinettsumbildung die Reißleine sehr spät, aber immerhin gezogen worden ist: „Anderthalb Jahre vor der Landtagswahl kann man das nicht mehr aussitzen, man muss handeln oder den Kopf in den Sand stecken und wird dafür bei den nächsten Wahlen bestraft“, so Hartelt. Vermisst hat sie bisher eine offensive Vergangenheitsbewältigung, hofft darauf bei den „Neuen“: „Man muss doch sagen, es sind im Land massive Fehler zu Lasten der Steuerzahler gemacht worden.“ Zwar habe sie mit solch personellem Rundumschlag nicht gerechnet, aber sehe nun die Chance, dass viele neue Köpfe auch ein anderes Bild der Landesregierung und zukunftsorientierte Arbeit bewirken würden. Die Grünen freue besonders die nun stärkere Regierungsbeteiligung der Frauen; mit denen sei gut zu arbeiten, hofft sie, jedenfalls besser „als mit so einer festen Ministerriege, wo die Grünen eher stören“. Im Zuge dieses Neuanfangs habe wohl auch Margit Conrad, die Donnersberger SPD-Landtagsabgeordnete und frühere Umweltministerin, ihr Ministeramt verloren. Das auf sie zugeschnittene „Europa-Ministerium“, daran freilich lässt Hartelt keinen Zweifel, sei jedoch unnötig und Geldverschwendung; vorher habe ja auch ein Europabeauftragter genügt. (bke/zin/jgl/bti)

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