Kultur Südpfalz Der Zauberer

Es dürfte kaum jemanden geben, der nicht wenigstens einen Titel von ihm kennt. Seit 81 Jahren steht er im Rampenlicht. Und auch heute, an seinem 90. Geburtstag, wird Charles Aznavour sich nicht von anderen feiern lassen, sondern selbst auf der Bühne stehen: in Berlin, wo er wie überall in der Welt als letzter der ganz Großen das französische Chanson verkörpert.

Für die intellektuellen politischen Debatten der 1950er und 1960er in den Cafés und Kellern von Saint-Germain-des-Prés war er nicht zuständig, der 1924 in Paris als Sohn armenischer Einwanderer geborene Chahnour Vaghinag Aznavourian. Schon früh musste er mit Auftritten im Café des Vaters zum Familieneinkommen beitragen, und als Neunjähriger trat er erstmals im Théâtre des Champs Elysées als Schauspieler auf. Durch die fehlende Schulbildung fühlte er sich lange Jahre ausgeschlossen. Und immer noch betont er gerne, ja „nur“ ein Music-Hall- und Varieté-Künstler zu sein. Unter „varieté française“ allerdings findet man sie in Frankreich alle: von Juliette Gréco bis zu Johnny Halliday. Für beide hat Aznavour übrigens Titel geschrieben! Auch für Gilbert Bécaud und Edith Piaf, die ab 1946 seine Förderin wurde. Kaum zu glauben, dass es dann noch 14 Jahre dauern sollte bis zum ganz großen Durchbruch. 1960 gab ihm François Truffaut die Hauptrolle in seinem Film „Schießen Sie auf den Pianisten“, es folgten mehr als 70 weitere Filmrollen. 1960 sang er aber auch „Je m’voyais déjà“: die rührend-melancholische Geschichte eines jungen Mannes, dessen Traum vom Künstlerdasein scheitert. Aznavours Traum wurde wahr, durch harte Arbeit auch an einer Stimme, die immer wieder als nicht vorhanden kritisiert wurde. Dass man ihm den Spitznamen „Aznovoice“ – das französische Englisch für „hat keine Stimme“ – gab, ist angesichts dessen, was an Stimmlosigkeit bis heute auf Bühnen drängt, geradezu peinlich. „Man hat mir geraten, nicht zu singen. Ich habe dennoch gesungen“ ... Und dennoch –„Et pourtant“: auch einer der unsterblichen Aznavourtitel, eine nie zu Ende gehende Liebesgeschichte. Mit „Du lässt Dich gehen“ eroberte er 1964 Deutschland. „La Mamma“, „Que c’est triste Venise“, „La Bohème“, „For me Formidable“, „J’aime Paris au mois de mai“, „Je n’ai rien oublié“: poetische Miniaturen, in denen Sprache durch ihren Rhythmus zu Musik und Musik so zu Sprache wird. Aznavour, der Einwanderersohn, singt bis heute in sieben Idiomen. Es brauchte für den nur 1,61 Meter kleinen Mann keine schrille Verkleidung, sondern nur die Musik und leise eindringliche Worte, um schon 1972 mit „Comme ils disent“ auf die Schattenexistenz von Homosexuellen und Travestie-Künstlern aufmerksam zu machen. Schicksale eben ... ... wie jenes der Armenier. 1989 gründete Aznavour eine Stiftung, die das Leid nach dem verheerenden Erdbeben dort lindern half. Für das Land seiner Vorfahren ist Aznavour seit 2009 UN-Botschafter in Genf. In der Schweiz, lebt er auch, mit seiner dritten Ehefrau, der Schwedin Ulla Thersoll, mit der er seit 46 Jahren verheiratet ist. Diskret, so diskret, dass auch die Angaben über die Zahl seiner Kinder zwischen vier und sechs schwankt. Eine Steuerdebatte gab es ebenfalls, allerdings schon in den 1970er Jahren. All das gehört zu Aznavours Leben, von dem die Bühne nur jener Teil ist, auf den er den Blick freigibt – und von dem aus er die Menschen nach wie vor verzaubert: „Emmenez-moi “ – bringt mich ins Wunderland – heißt einer seiner schönsten Titel.

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