Rheinpfalz Bisheriges Leben umgekrempelt

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MAINZ. Malu Dreyer (SPD) ist am 18. Mai erneut zur Ministerpräsidentin gewählt worden, doch auf anderen Posten in der Landesregierung gab es Wechsel. Die neuen Minister und Staatssekretäre der „Ampel“-Koalition aus SPD, FDP und Grünen stellen wir in der Reihe „Neu im Kabinett“ vor. Heute: Andy Becht, FDP-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Er ist für Landwirtschaft, Weinbau und Verkehr zuständig.

Wenn Andy Becht zu erzählen beginnt, schwingen immer eine gehörige Portion Humor und Pfälzer Lockerheit mit. „Es verfolgt mich“, schmunzelt er: „Ich will nur mitmachen, und plötzlich habe ich einen Hut auf.“ Neue Hüte gibt es für den gewichtigen Südpfälzer in diesen Wochen viele. Die FDP ist zurück im Landtag und in der Regierung – mit neuen Gesichtern. Andy Becht ist eines davon. FDP-Wirtschaftsminister Volker Wissing hat den Parteifreund, der sich einen „kleinen Kreisvorsitzenden“ nennt, zu seinem Staatssekretär gemacht. Überraschend sei das gekommen, sagt Andy Becht. Als Neunter auf der Landesliste der FDP hatte er sich ausgemalt, vielleicht als Nachrücker noch in den Landtag zu kommen. Das wäre mit seinem Brotberuf als angestellter Rechtsanwalt in einer Kandeler Kanzlei noch vereinbar gewesen. Jetzt steht der 41-Jährige aus Bellheim mit an der Spitze eines Ministeriums. Den Anwaltsberuf musste er an den Nagel hängen, und seine große Leidenschaft, die Gitarre, gleich daneben. „Ich habe in drei Tagen mein bisheriges Leben abgewickelt“, sagt Andy Becht. Er werde jetzt „100 Prozent Politik“ machen. Dazu gehört auch, dass er sich morgen der Wahl zum neuen Vorsitzenden des FDP-Bezirks Pfalz mit seinen rund 1000 Mitgliedern stellen will. Becht ist ein neues Gesicht in Mainz, aber kein unbeschriebenes Blatt in der FDP. An seinem 15. Geburtstag ist die Berliner Mauer gefallen. Das habe in ihm die Begeisterung für Freiheit und Interesse an der Politik geweckt, erinnert er sich. Ende der 90er Jahre stieß Becht zur FDP, seit 2001 ist er Vorsitzender des Germersheimer Kreisverbands. In seiner Heimat ist der Liberale als Kommunalpolitiker bekannt. Er sitzt im Ortsgemeinderat und im Verbandsgemeinderat Bellheim sowie im Kreistag Germersheim. Von 2009 bis 2014 war Becht Beigeordneter des Landkreises. Dort war er für die Bereiche Gesundheit und Verbraucherschutz verantwortlich. Andy Becht nennt sich Sozialpolitiker. Er komme aus der Jugendarbeit, sei Messdiener gewesen, sagt er. Die Teilhabe in der Politik sei ihm ein wichtiges Thema, ebenso die Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft. Während der Koalitionsgespräche hat der Jurist für die FDP unter anderem die Sozialpolitik verhandelt. Er zählt zu den Liberalen, denen die Ampel mehr gilt als ein den Mehrheitsverhältnissen geschuldetes Zweckbündnis, die darin auch eine Chance sehen, in der FDP neue Themen voranzubringen. Er habe mit der SPD-Sozialministerin mehr als 14 Stunden ohne Unterbrechung am Verhandlungstisch gesessen, sagt Becht. Da sei viel politische Gemeinsamkeit deutlich geworden. Er nennt ein Beispiel: Über die Frage, ob gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt sein sollte, Kinder zu adoptieren, hätten FDP und CDU wohl drei Jahre ohne Ergebnis geredet. Als Staatssekretär ist Becht für Landwirtschaft, Weinbau und Verkehr zuständig. Er weiß, dass dies Politikfelder sind, auf denen die Liberalen in der Ampel unter besonderem Erfolgszwang stehen. Die FDP habe erreicht, dass in den kommenden fünf Jahren mehr als eine halbe Milliarde Euro für Bau und Unterhalt von Straßen zur Verfügung stehen. „Wir werden vernünftig mit den Mitteln umgehen und ein Investitionsprogramm aufstellen“, verspricht er. Aber eine moderne Infrastruktur bestehe „nicht nur aus Beton und Eisen“, sagt er weiter. Die intelligente Verbindung von öffentlichem Nahverkehr und Elektromobilität zum Beispiel sei ein Thema, das Potenzial für die Zukunft habe. Ein Staatssekretär muss auch verzichten. Becht ist begeisterter Musiker. Nach dem Abitur wollte er Profimusiker werden, hat in Los Angeles Gitarrenunterricht genommen. Seit 1988 spielt der Bellheimer in verschiedenen lokalen und regionalen Bands, hat zusammen mit einem Freund ein eigenes Plattenlabel. Becht hat alle öffentlichen Auftritte abgesagt, nicht zuletzt, um schon den Anschein von Interessenkollisionen zu vermeiden. Deshalb wird entgegen ursprünglicher Planung Gitarrist Andy Becht nicht auf dem alljährlichen Trucker-Treffen Anfang Juli am Nürburgring zu hören sein. Aber Verkehrsstaatssekretär Andy Becht hat schon eine Einladung für das Treffen auf dem Tisch. Es ist in diesen Tagen vieles neu für den Bellheimer, der nebenher Chilis anbaut, um daraus eine patentierte Grillsoße zu brauen. Auch die scharfen Schoten sollen künftig nur noch auf Sparflamme brennen. Info Bisher erschienen: „Rolle gewechselt, aber nicht die Themen“ (Konrad Wolf), Ausgabe vom 9. Juni.

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