FUSSBALL Ganz große Leere – Italien nach dem erneuten Verpassen einer WM

Der Italiener Joao Pedro kann es nicht fassen.
Der Italiener Joao Pedro kann es nicht fassen.

Fußball-Italien liegt am Boden. Der Europameister – niedergestreckt vom kleinen Nordmazedonien, der eigenen Angst vor dem Scheitern und Defekten tief drin im System.

Acht Monate nach dem Triumph von Wembley erleben die Azzurri in einer unwirklichen Nacht in Palermo einen neuen Tiefpunkt. Vom „größten Alptraum“ stammelt Mittelfeldspieler Marco Verratti im Anschluss an das blamable 0:1, das das Aus in der WM-Qualifikation bedeutet. Die Europameister sind im Spätherbst in Katar zum Zuschauen verdammt.

Am Freitagmorgen raunten sich manche Italiener zu, wie viele Kinder es doch bald geben werde, die noch nie eine „Squadra Azzurra“ bei einer WM gesehen haben. Letztmals war Italien 2014 in Brasilien dabei und dort ohne Sieg in der Vorrunde gescheitert. Damals war übrigens ebenso von einem historischen Tiefpunkt die Rede wie später bei der verpassten Quali für die WM 2018. Nun ist alles noch schlimmer, der EM-Erfolg war doch eine Einmonatsfliege und kein Zukunftssignal.

„Enttäuscht, gebrochen, am Boden zerstört“

„Wir sind enttäuscht, gebrochen, am Boden zerstört“, sagte Kapitän Giorgio Chiellini und berichtete von einer „großen Leere“ in den Köpfen der Spieler.

Dabei hatte Italien schon vor dem Showdown gegen Nordmazedonien, den Aleksandar Trajkovski (90.+2) entschied, viele Chancen, das Debakel zu vermeiden: In zwei Quali-Partien gegen die Schweiz klappte der Sieg nicht, beide Male vergab Jorginho einen Elfmeter. „Das wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen“, sagte er. Vor allem die Schwäche im Sturm um den im Verein so treffsicheren und bei der Nationalelf – auch am Donnerstagabend – so harmlosen Ciro Immobile führte zu dem Schlamassel. „Wir wissen nicht, wie dieses Spiel so ausgehen konnte“, sagte Nationalcoach Roberto Mancini.

Verbandschef wünscht sich Mancinis Verbleib

Natürlich wurde schnell die Trainerfrage gestellt. Mancini hat noch einen Vertrag bis 2026 – aber kann man nach so einer Niederlage im Job bleiben? Chiellini hofft, dass Mancini weitermacht, und auch Verbandschef Gabriele Gravina wünscht sich einen Verbleib Mancinis: „Wir haben uns für ein Projekt verpflichtet.“ Der Trainer selbst wollte zunächst nicht über seine Zukunft spekulieren, diese „größte Enttäuschung“ seines Fußballerlebens müsse er erst verdauen.

Für den Fall eines Mancini-Rücktritts wird schon über Fabio Cannavaro als Nachfolger gemunkelt. Das Trainerleben des Weltmeister-Kapitäns von 2006 spielte sich bislang in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi Arabien und China ab. Wie es heißt, könnte dem 48-Jährigen als Sportdirektor der Routinier Marcello Lippi zur Seite gestellt werden. Auch Real Madrids Carlo Ancelotti ist – mal wieder – ein Kandidat.

„Wir sind rückständig, nicht nur im Fußball“

Doch der italienische Fußball gehört grundlegend reformiert, das ist die einhellige Meinung der Analysten und Experten. Er sei „kulturell rückständig, es gibt keine neuen Ideen. Die anderen Nationen entwickeln sich, wir sind auf dem Stand von vor 60 Jahren geblieben“, sagte Ex-Coach Arrigo Sacchi der „Gazzetta dello Sport“. Die Mängelliste ist lang. „Unsere Jugendabteilungen sind voll mit Spielern aus dem Ausland, die gekauft werden wie Obst und Gemüse, die Clubs sind höchstverschuldet, die Teams gewinnen außerhalb Italiens nichts mehr und niemandem sagt es etwas?“, fragte Sacchi provokant. „Wir sind rückständig, und das nicht nur im Fußball.“

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