Rheinland-Pfalz „Neuwahlen nicht gerechtfertigt“

Das Nürburgring-Desaster, aber auch die Schwierigkeiten am Hunsrück-Airport Hahn sowie das Aus für den Zweibrücker Flughafen beherrschen die landespolitische Diskussion. Die CDU-Opposition hat im Landtag Rücktritte von SPD-Ministern und Neuwahlen gefordert. Darüber hat unser Redakteur Arno Becker mit dem Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter gesprochen. Unter anderem CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner und Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler haben bei dem inzwischen 70-Jährigen studiert.

Die SPD-geführte Landesregierung wird das Dauerthema Nürburgring nicht los. Mit eigenen politischen Inhalten dringt die rot-grüne Koalition kaum noch an die Öffentlichkeit. Verschreckt das die Wähler und fördert es sogar Politikverdrossenheit?

Natürlich wird es den einen oder anderen Wähler verschrecken. Es geht um gewaltige Summen, fast eine halbe Milliarde Euro wurde in den Sand gesetzt. Das wird der SPD mit Sicherheit keine zusätzlichen Stimmen einbringen, sondern sie eher Stimmen kosten. Die SPD tröstet sich gerne mit der Annahme, das Thema Nürburgring interessiere nach so vielen Jahren die meisten Menschen nicht mehr. Stimmt das? Das Thema Nürburgring vielleicht weniger, die halbe Milliarde schon eher. Das Geld fehlt an anderer Stelle. Es wurde für ein in guter Absicht gestartetes Projekt ausgegeben, das aber dann so schief gelaufen ist, wie etwas nur schlief laufen kann. Das wird meines Erachtens im Landtagswahlkampf 2016 eine erhebliche Rolle spielen. Gestützt auf den jüngsten Bericht des Landesrechnungshofs sagt die CDU, die SPD habe den Ring mit einem untauglichen Zukunftskonzept sehenden Auges über die Landtagswahl im März 2011 geschleppt, um die eigene Mehrheit im Land zu retten. Sie fordert Rücktritte zweier Minister und des SPD-Fraktionsvorsitzenden. Sind die Forderungen nur notwendiger Teil der Oppositionsarbeit oder sind Rücktritte tatsächliche notwendig zur Wahrung einer guten politischen Kultur? Es ist geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass die Opposition Rücktritte fordert. Und die Forderungen sind ja nicht unberechtigt. Es gibt eine politische Verantwortlichkeit jenseits der persönlichen Verantwortlichkeit. Und diese politische Verantwortlichkeit ist ganz klar definiert: Wenn im Hause des Ministers fahrlässig gehandelt worden ist, wenn dem Land Schaden zugefügt worden ist, wenn das hätte verhindert werden können, dann nimmt normalerweise der Minister seinen Hut. Ich denke an den früheren Bundesinnenminister Seiters. Er hat sein Amt zur Verfügung gestellt, nachdem die Festnahme von RAF-Terroristen schiefgegangen war. An dem Polizeieinsatz hatte er natürlich nicht selbst teilgenommen. Heißt also im Klartext für Rheinland-Pfalz: Finanzminister Kühl, Innenminister Lewentz und SPD-Fraktionsvorsitzender Hering sollten ihre Ämter niederlegen? Wenn sie politische Verantwortlichkeit ernst nehmen, läge das nahe. Das Problem ist, dass so viele SPD-Politiker darin verstrickt sind. Schon allein deshalb werden die Rücktritte nicht erfolgen, die Landesregierung und die SPD könnten das gar nicht verkraften. Man wird das Thema aussitzen. Sind Oppositionsparteien in Deutschland im Allgemeinen zu schnell oder zu langsam mit Rücktrittsforderungen? Ich finde, sie haben im Allgemeinen ein ganz gutes Maß. Nur selten wird über das Ziel hinausgeschossen. Bei der Nürburgring-Affäre ist das meines Erachtens nicht der Fall. Und die betroffenen Politiker, kommen sie den Forderungen ausreichend schnell und häufig nach oder fehlt es generell an einer Rücktritts-Kultur? Es gibt bei uns in Deutschland nicht allzu häufig Rücktritte. Es geschieht im Allgemeinen dann, wenn Gefahr für ein Ganzes gesehen wird, zum Beispiel für die Fortsetzung einer Koalition. Wann sind in unserem politischen System vorzeitige Neuwahlen angezeigt? Sie sind erstens angezeigt, wenn eine Regierung keine Mehrheiten mehr hat, wenn sie nicht mehr regieren und gestalten, sondern nur noch verwalten kann. Neuwahlen sind zweitens angezeigt, wenn die Regierung keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung mehr genießt. Und wie ist es in der derzeitigen Situation in Rheinland-Pfalz: Die CDU fordert Neuwahlen, ist das angemessen? Die beiden Voraussetzungen für Neuwahlen sind nicht gegeben. Ich halte die Forderung deshalb für nicht gerechtfertigt. Rot-Grün wird ihr ohnehin nicht nachgeben. Es bleibt also beim Wahltermin Frühjahr 2016. Können das Nürburgring-Desaster oder die Schwierigkeiten mit dem Flughafen Hahn die Landtagswahl entscheiden? Der Nürburgring kann entscheiden, wer stärkste Partei wird. Die Wahl selbst wird dadurch entschieden, welche Parteien in den Landtag gewählt werden und welche Parteien koalitionsfähig und koalitionswillig sind. Solange die Grünen fest zur SPD halten, ist es für die CDU nicht genug, stärkste Partei zu werden. Das Blatt würde völlig neu gemischt, wenn die AfD in den Landtag einziehen sollte – und danach sieht es derzeit aus. Dann dürfte es für Rot-Grün kaum noch reichen. Dann sind Schwarz-Grün oder sogar eine Große Koalition nach heutigem Stand die realistischen Möglichkeiten. Ihr Tipp, mit wem würde die CDU in diesem Fall handelseinig, mit den Grünen oder mit der SPD? Die CDU wird versuchen, mit den Grünen zu regieren. Aber es ist die große Frage, ob die Grünen dazu in der Lage sein werden. Eveline Lemke wird sich vermutlich eher mit dem Gedanken anfreunden können als mein ehemaliger Student Daniel Köbler.

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