Rheinland-Pfalz Manager wechselt: Kirche statt Konzern

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Ludwigshafen. Dieser Geistliche ist in etwa so aufgewachsen wie viele andere Kleriker auch: Oma war im katholischen Frauenbund, Mama sang im Kirchenchor, und er selbst spielte als Teenager die Orgel. Doch zum Kirchen-Job fand der Oggersheimer nur auf Umwegen: Erst jetzt, mit 52 Jahren, ist Christian Stenz zum Priester geweiht worden – nach einer Karriere als Top-Manager in großen Konzernen.

Vom Hausrat blieb nur, was sich in einem fünf mal fünf Meter großen Verschlag einlagern lässt: Sofa. Schreibtisch. Bücher. Musikanlage. Küchengeräte. Christian Stenz war zwar schon Mitte 40, aber wollte noch einmal neu beginnen. Dabei hatte er es schon weit gebracht: Jura-Studium, Doktortitel. Und dann: Alle paar Jahre ein neuer Arbeitgeber. Stationen in Brüssel, Paris und Asien. Immer klangvollere Titel. Und Gehaltsverhandlungen, bei denen er nur noch aus Prinzip um mehr Geld feilschte: „Mehr als ein Schnitzel am Tag kann man eh nicht essen.“ Am Ende saß er in Berlin, hatte eine 180-Quadratmeter-Wohnung und ein Büro im 18. Stock des Springer-Hochhauses. Als Personalchef des Medienkonzerns war er für mehr als 8000 Beschäftigte verantwortlich. Doch nach nur einem Jahr und ein paar Monaten verabschiedete er sich. Was der Konzern damals, im Jahr 2008, über ihn sagte, steht bis heute auf dessen Internet-Seite. Die Sätze klangen so lobend, dass ihn Headhunter noch Jahre später anriefen. Erst im Juni 2011 ließ er eine Personalvermittlerin wissen, dass er sich auf die Priesterweihe vorbereitete. „Die ist aus allen Wolken gefallen“, sagt er lachend. Dass er in eine winzige Zelle gezogen war, hatte er 2008 verschwiegen. Dabei war er auch vorher schon immer wieder für ein paar Tage in der westfälischen Abtei abgetaucht. „Wie man das als Manager halt so macht“, erzählt er. „Meine Freunde dachten: Naja, Midlife-Crisis.“ Dabei war er schon von klein auf immer in die Kirche gegangen. Kein Wunder, die Oma war im katholischen Frauenbund, seine Mutter sang im Kirchenchor. Er selbst hat mit 16 Jahren in der Oggersheimer Wallfahrtskirche das Orgelspielen gelernt, von da an die Gottesdienste in Ludwigshafener Pfarreien begleitet. Und mit dem Gedanken gespielt, Priester zu werden. Doch mit 18, 19 Jahren traut er sich das noch nicht zu. Also studiert er Jura. Und wird erfolgreich, aber nicht glücklich. Zu oft muss er Leuten die Gehälter kürzen. Oder sie gar entlassen. Vor allem aber kommt seine spirituelle Seite zu kurz. Nach vielen Gesprächen mit Seelsorgern wagt er das Experiment und wird Mönch auf Probe – „mit offenem Ausgang“. Immerhin sind da ja noch die Headhunter, deren Anrufe ihm zeigen: Er kann zurück in die Wirtschaft, wenn er nur will. Tatsächlich merkt er bald, dass er auch im Kloster falsch ist. Denn er hat sich ausgerechnet die Benediktiner ausgesucht. Die führen ein besonders stilles Leben – zu still für den ehemaligen Top-Manager. „Ich wäre den armen Mönchen nur auf die Nerven gegangen“, vermutet Stenz. Der Bischof von Münster schlägt ihm schließlich vor, ein gewöhnlicher Priester außerhalb eines Ordens zu werden. Doch wer das will, muss schon seit Jahrhunderten ins Priesterseminar. Dort wird er parallel zum Studium auf sein Amt vorbereitet. Dieses System stammt aus Zeiten, in denen die meisten Kandidaten sofort nach dem Abitur antraten. Mittlerweile kommen immer mehr Männer, die schon ein ganzes Stück älter sind. Und die im Leben schon etwas geleistet haben. Stenz ist froh, dass ihm sein Bischof Sonderkonditionen gewährt. Er darf die Ausbildung im Schnellverfahren durchlaufen und eine eigene Wohnung mieten: Studentenbude, 35 Quadratmeter. Im Gegenzug versucht er, sich in die Truppe der deutlich jüngeren Priesteramtskandidaten einzufügen. „Auch wenn das manchmal was von Feuerzangenbowle hatte.“ Das Blitzen in seinen Augen verrät: Sein zweites Studentenleben hat dem mittlerweile 52-Jährigen durchaus Spaß gemacht. Dabei können Theologieprofessoren fromme Leute auch in bohrende Zweifel stürzen. Stenz hingegen schwärmt von der „Verbindung aus Rationalität und Spiritualität“, die gerade das Christentum prägt. In dicken Büchern findet er Antworten auf Fragen, die ihn schon lange umtreiben. Nun versucht er, sie in einfachen Sätzen weiterzugeben. Das mit englischem Kauderwelsch aufgeblähte Manager-Deutsch hat er sich ab- und die komplizierten Bandwurmsätze der Theologen gar nicht erst angewöhnt. Doch er kann auch ganz schweigen, wenn er ahnt, dass es keine passenden Worte gibt. Kurz nach der Weihe an Pfingsten hat ihn der Bischof für ein paar Wochen nach Haltern am See geschickt – in die Stadt, aus der 18 Opfer des Germanwings-Absturzes in den Alpen stammen. An Stenz’ erstem Sonntag dort war in der Messe eine Bibelstelle an der Reihe, in der Jesus ein totes Mädchen wieder ins Leben zurückholt. „Das war mir zu glatt“, sagt der Neupriester. „Ich hab’ dann über was anderes gepredigt.“ Als junger Mann wäre er vielleicht mutiger gewesen. Oder: plumper. Stenz ist froh, dass er die Fehler des jugendlichen Ungestüms schon hinter sich hat. Geduldiger, sagt er, muss er dennoch werden. Zum Beispiel, wenn Pfarreien drei Jahre für eine Fusion brauchen, die er früher bei ähnlicher Größenordnung in sechs Monaten durchgepeitscht hätte. Die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter können nicht gezwungen, sie müssen überzeugt werden. Trotzdem, meint der Ex-Manager, kann die Kirche von der Wirtschaft lernen. Zum Beispiel, wie Arbeit auf mehrere Köpfe verteilt wird. Das ist wichtig, weil sich immer weniger Priester um immer größere Gebiete kümmern müssen. Stenz meint: Es gäbe ein paar Pfarrer mehr, wenn auch verheiratete Männer geweiht würden. Doch eigentlich will er sich vor allem den Kopf über solche Fragen zerbrechen, für die er in Zukunft auch zuständig ist. Beziehungs-Erfahrung jedenfalls dürfte er in früheren Jahren selbst gesammelt haben. Details behält er, freundlich um Verständnis bittend, für sich. „Sie können davon ausgehen, dass ich auch in diesem Punkt ein Vorleben habe, wie es für einen Mann in meinen Alter ganz normal ist“, sagt er nur. Und: „Ich weiß, worauf ich verzichte.“ Vor allem aber weiß er: „Ich bin so zufrieden und entspannt wie noch nie in meinem Leben.“

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