Rheinland-Pfalz „Danke Dietlinde!“

Wie und wo lässt sich die Pfalz am besten genießen? „Beim Wandern“, „Auf einer Dorfkerwe“, „In gemütlicher Runde auf einem Weinfest“, werden viele antworten. Aber wer es mit einem Picknick in der Natur probiert, erlebt die Pfalz auf ganz intensive Art. RHEINPFALZ-Redakteur Rolf Schlicher hat es zusammen mit Hedwig Herberger und Rainer Gumpp ausprobiert.

Der Philips EL 3300 war vor 50 Jahren eine Sensation. Das niederländische Unternehmen präsentierte damals auf der Funkausstellung in Berlin mit dem robusten Gerät den ersten Kassettenrekorder. Design: Chrom und viel Schwarz. Der Klang: eher blechern. Der EL 3300 veränderte dennoch den Sound einer ganzen Generation – er kostete zwar stolze 299 Mark, war damit aber viel billiger als die großen Tonbandgeräte. Mit dem EL 3300 lagen seine glücklichen Besitzer stundenlang vor dem Radio auf der Lauer, um ja rechtzeitig auf „Aufnahme“ zu drücken, wenn der Lieblingssong kam. CD und iPod haben die Kompaktkassette längst vom Markt verdrängt, der Philips EL 3300 besitzt aber immer noch Kultstatus. Spezialanbieter liefern neue Antriebsriemen, wenn sich die alten im Inneren des Geräts zu einer schwarzen, ölig-klebrigen Masse aufgelöst haben. Weil der EL 3300 batteriebetrieben ist, war er schon damals der perfekte Picknick-Begleiter. Für diesen Ausflug an den Neustadter Sommerberg hat Rolf seinen alten Philips aus dem Keller geholt und runderneuert. Eine Portion Retro und Nostalgie hat das schon, aber auch einen praktischen Hintergrund. Mit dem Abspielen einer Vogelstimmen-Kassette soll der Ziegenmelker zum Rufen animiert werden. „Das hat mir letztes Jahr der Neustadter Naturschützer Volker Platz bei einer Exkursion gezeigt, es hat wunderbar funktioniert“, sagt Rolf. Hedwig und Rainer blicken skeptisch, als der typische Ziegenmelker-Ruf als Ton-Konserve ertönt: „errrr-örrr-errrr“. Das erinnert an das mechanische Schnurren und Rattern von Blechspielzeug. Aus dem kleinen Büchsen-Lautsprecher des EL 3300 klingt das „errrr-örrr-errrr“ doppelt scheppernd. Doch kein Ziegenmelker aus dem richtigen Leben antwortet. „Wahrscheinlich ist es noch viel zu früh“, sagt Rainer. In der Tat: Der Ziegenmelker ist ein nachtaktiver Vogel, mit seinem Gesang beginnt er meist erst in der späten Dämmerung. Der Sommerberg, der sich oberhalb des Hambacher Schlosses in Richtung Kalmit erstreckt, gehört zu den wenigen Ziegenmelker-Revieren, die es noch am Haardtrand und in der Rheinebene gibt. Wer den Ziegenmelker hören will, muss Geduld und Zeit haben. Und einen Platz, an dem man gerne auf dieses Naturspektakel wartet. Den haben die drei am Sommerberg wahrlich gefunden: Dort hat ein unbekanntes Paar unlängst den Wanderern einen fabelhaften Picknick-Platz beschert: An einem der frei geschlagenen Sommerberg-Hänge wurde eine Terrasse geschoben, darauf stehen ein Tisch und zwei Bänke. Ein Naturbalkon mit viel Sonne und Fernsicht. Das kleine Schildchen an der Bank verrät nur die Vornamen der Spender: „Dietlinde und Maximilian.“ „Was für ein friedlicher Platz, da kommt man sofort in den Urlaubsmodus“, sagt Hedwig. Das beginnt eigentlich schon auf dem Weg dorthin: Lichte Kiefern, ein flirrendes Schattenspiel auf dem von Butzeln übersäten Weg und der Geruch des Südens: Korsika, Atlantikküste, Pyrenäen. Rolf hält den EL 3300 in die Höhe: „errrr-örrr-errrr“ schnarrt es aus dem Lautsprecher. Doch kein Sommerberg-Ziegenmelker antwortet. Picknicker haben Zeit. Viel Zeit sogar, wenn sie das Richtige in den Rucksack gepackt haben. „Pfälzer Wraps“ hatte Hedwig gesagt, als Rainer gefragt hatte: „Was machen wir denn diesmal?“ Die Anzahl der Rezepte für Wraps geht in die Hunderte, man kann alles Mögliche in die dünnen Teigfladen einrollen. Selbstverständlich auch Leber- oder Blutwurst – und natürlich Ziegenkäse. An den Ziegenmelker sollte man dabei nicht denken. Denn der verdankt seinen Namen einem Aberglauben: Er soll auf Weiden an den Zitzen von Kühen und Ziegen gesaugt haben. Der Haardtrand wurde früher auch als Weideland genutzt. Doch es waren magere Böden, das Vieh gab nicht viel Milch. Genau diese mageren, sandigen und warmen Böden liebt der Ziegenmelker – so geriet der Vogel fälschlicherweise in den Ruf, ein Milchräuber zu sein. Doch an diesem Abend wehrt er sich nicht gegen diesen Verdacht, kein protestierendes „errrr-örrrr-errrr“ erschallt. Die Leberwurst hat Rolf mit selbst gemachtem Pernod-Senf und Krabben riskant verfeinert, der Blutwurstfüllung geben grüner Spargel und Feigen Weite und Biss. Am knackigsten ist jedoch der Wrap mit gewickeltem Krautsalat. Hedwig, Rainer und Rolf genießen ihre Pfälzer Wrap-Auswahl, dazu den Blick in die Rheinebene, die allmählich blau-diesig verschwimmt. Die letzten Sonnenstrahlen kommen um den Berg. „Danke Dietlinde“, sagt Rolf, „Und danke Maximilian“, ergänzt Hedwig. Rainer hadert unterdessen mit seinem Nachtisch-Wrap. Eine raffinierte Erdbeer-Creme hatte er dafür zu Hause gezaubert und vorausschauend im Tiefkühler auf diese Tour vorbereitet. Doch es ist ein heißer Tag, man steigt vom Hambacher Schloss eine knappe Stunde zu diesem Platz hoch. Jetzt fließt die Erdbeer-Creme aus dem Wrap. „Es war die falsche Entscheidung für den richtigen Ort“, sagt Rainer lachend und greift zum Löffel. Es beginnt zu dämmern. Das Wort „Feierabend“ bekommt an diesem Platz einen besonderen Klang: ein leichtes Rauschen, ein Knacken aus dem Unterholz. Das Gespräch der drei schläft ein. Ein ganz friedlicher Ort. Der Dunst unten in der Rheinebene wird dunkelblau, der Tag rollt sich allmählich ins Bett. Die drei Freunde beginnen, den Rucksack zu packen. „Errrrr-örrrr-errrrr“, tönt es plötzlich gegenüber aus dem Hang. „Da ist er“, flüstert Hedwig. „Und ganz ohne Lockvögel aus dem Lautsprecher“, stichelt Rainer leise. Rolf drückt an seinem EL 3300 auf den roten Knopf: Aufnahme. Zur Ausstattung dieses Kassettenrekorders hatte vor 50 Jahren auch ein Mikrofon gehört. Die Kassette dreht sich. Es ist 21.53 Uhr. Bis zu einer Stunde kann ein Ziegenmelker am Stück schnarren und schnurren. Dieser Feierabend wird zur langen Nacht

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