Politik Sehnsucht nach neuen Gesichtern

Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Wochenlang ist nach der Bundestagswahl am 24. September, auch medial, über das grüne Führungspersonal geraunt worden. Aus vielerlei Gründen. Die Grünen hatten beispielsweise ihr Wahlziel nicht erreicht: Sie wollten nach CDU/CSU und SPD drittstärkste Kraft im Bundestag werden. Doch die Bundestagsneulinge der AfD, die wieder ins Parlament eingezogene FDP und die Partei Die Linke zogen an ihnen vorbei. Das beflügelte nicht nur die Sehnsucht nach neuen Gesichtern, sondern auch die Fantasie für die anstehenden Wahlen für Machtpositionen in der Partei. Die Führungen von Partei und Fraktion müssen neu bestimmt werden. Schon seit geraumer Zeit ist klar: Einer der bisherigen Parteichefs – Cem Özdemir (52) – will nicht mehr antreten. Allerdings liebäugelte der „anatolische Schwabe“ nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen mit dem Fraktionsvorsitz im Bundestag. Am vergangenen Wochenende nun kam Bewegung ins grüne Personalkarussell. In einem bemerkenswert offenen Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ begrub Özdemir seine Fraktionsambitionen. Er sagte ohne Umschweife: „Ich habe erkennbar keine Mehrheit. Das muss ich akzeptieren.“ Was insofern bemerkenswert ist, als Özdemir zuletzt immer mehr an Statur im politischen Berlin und an Zustimmung in der Bevölkerung gewonnen hatte. Laut dem letzten Deutschland-Trend sind 53 Prozent der Deutschen mit Özdemirs politischer Arbeit sehr zufrieden. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel sagen das übrigens nur 52 Prozent der Wähler. Der Realo Özdemir hätte im Fraktionsrennen gegen den Parteilinken und bisherigen Co-Fraktionschef Anton Hofreiter in die Startlöcher gehen müssen. Denn nach den grünen Regeln kann Özdemir als Mann die wahrscheinliche Kandidatin Katrin Göring-Eckardt nicht herausfordern. Nur wenige Stunden nach Özdemirs öffentlich bekundetem Rückzug meldete die Niedersächsin Anja Piel (52) ihre Ambitionen für den Bundesvorsitz an. Sie ist in Hannover Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion und fährt auf dem Ticket der Parteilinken. Allerdings hat sie schon frühzeitig Versuche unternommen, sich gegen das Etikett „Quotenlinke“ zu wappnen: „Sicher wird Vermittlungsarbeit nötig sein, um getrennt tagende Think Tanks mit ihren zum Teil verkrusteten und nicht mehr zeitgemäßen Strukturen zu öffnen. (…) Die allermeisten unserer Mitglieder interessieren sich für Flügel viel weniger als dafür, dass sie an der Entwicklung von Programmen und Schwerpunkten angemessen beteiligt werden“, heißt es in ihrer Bewerbungsmappe. Damit will sich Piel offenbar auch für den Realo-Flügel wählbar machen. Dieser Parteiflügel wird mit dem schleswig-holsteinischen Umweltminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Robert Habeck (48) und der brandenburgischen Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock (37) der Bundesdelegiertenversammlung am 26. und 27. Januar in Hannover ein veritables Kandidatenangebot für die Parteispitze unterbreiten. Das am Wochenende in Schwung gebrachte Personalkarussell brachte die bisherige Vorsitzende Simone Peter (52) in Zugzwang. Die Saarländerin galt als wenig publikumswirksam. Ihre öffentliche Rede war blass und floskelhaft. Inhaltlich haften geblieben ist von ihr wenig. Und wenn, dann eher Missverständliches. Zum Beispiel, als sie nach dem Jahreswechsel 2016/17 bei der Kölner Polizei Verhältnis- und Rechtmäßigkeit kritisierte, weil die „insgesamt knapp 1000 Personen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt“ habe. Özdemir hatte Peter am Sonntag via Zeitungsinterview kaum verhüllt das politische Altenteil nahegelegt. Es sei Zeit „für neue Ideen an der Parteispitze“, befand er. Gestern legte Özdemir nach: Die grüne Gepflogenheit, beide Flügel – Realos und Linke – in der Führung abzubilden, sei „vielleicht ein bisschen zu viel des Guten.“ Es sei zu überlegen, „ob es nicht besser wäre, wenn man die Leute danach aussucht, von denen man glaubt, dass sie die Aufgabe am besten können“. Zugleich verteidigte Özdemir die Frauenquote. Die habe sicherlich ihre Berechtigung. In Berliner Kreisen wird gemunkelt, die Parteilinke habe Peter signalisiert, sie werde sich möglicherweise nicht gegen die Reala Baerbock durchsetzen können. Peter verkündete folglich gestern Morgen ihren Rückzug in einem Brief an die Partei. Damit der linke Flügel dennoch in der Parteispitze vertreten ist, sei die Linke Anja Piel zur Kandidatur ermuntert worden. An diesen Spekulationen könnte was dran sein. Denn noch eine Woche vor Weihnachten hatte Peter öffentlich bekräftigt, erneut für den Vorsitz antreten zu wollen. Ferner sind Teile des Grünen-Establishments ganz und gar nicht der Auffassung, die institutionalisierte Flügelei der Grünen sei für das Publikum nur mäßig spannend und auch sonst von gestern. Peter selbst sagte dazu in einem „Tagesspiegel“-Interview Mitte Dezember: „In manchen Orts- oder Landesverbänden spielen die Flügel tatsächlich eine geringere Rolle. Vor Ort strukturiert sich die Partei oftmals nach anderen Kriterien. Aber hier auf Bundesebene halte ich die Flügel nach wie vor für wichtig, weil sie die unterschiedlichen Milieus und Einstellungen zwischen Stuttgart und Kreuzberg gut einbinden und zusammenführen können. Es ist sinnvoll, Interessen in Gruppen zu organisieren.“ Machtfragen sind bei den Grünen immer schon ziemlich heikle Fragen gewesen. Dass sich im Feld der Bewerber noch etwas tut, ist nach den Worten des Kandidaten Robert Habeck gut möglich. „Es kann auch sein, dass noch ein Mann kandidiert, das halte ich für überhaupt nicht ausgeschlossen“, ließ er in Kiel verlauten. Der grüne EU-Parlamentarier Sven Giegold hat eine Kandidatur nur für den Fall in Aussicht gestellt, dass die Partei Habeck eine Übergangszeit verweigert, in der dieser sowohl Landesminister als auch Parteichef sein kann. Bisher ist das bei den Grünen nicht erlaubt. Für Habeck ist es aber eine Voraussetzung, um den Vorsitz zu übernehmen.

Simone Peter, zusammen mit Özdemir noch Parteivorsitzende.
Simone Peter, zusammen mit Özdemir noch Parteivorsitzende.
Robert Habeck, Minister in Kiel, wäre gerne Parteivorsitzender.
Robert Habeck, Minister in Kiel, wäre gerne Parteivorsitzender.
Annalena Baerbock, Bundestagsabgeordnete. Nun Kandidatin.
Annalena Baerbock, Bundestagsabgeordnete. Nun Kandidatin.
Anja Piel, Fraktionschefin in Hannover, strebt auch nach Berlin.
Anja Piel, Fraktionschefin in Hannover, strebt auch nach Berlin.
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