Politik Blickpunkt: Koalitionsverhandlungen: „Basst scho“

Von einer „neuen Dynamik für Deutschland“ redet Angela Merkel – und strahlt doch, müde verhandelt, das glatte Gegenteil aus.
Von einer »neuen Dynamik für Deutschland« redet Angela Merkel – und strahlt doch, müde verhandelt, das glatte Gegenteil aus.

Regierungsbildung, zweiter Teil: 136 Tage nach der Bundestagswahl haben sich CDU, SPD und CSU auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Anschließend haben sich die übermüdeten Großkoalitionäre bemüht, gut über ihre Vereinbarung zu reden. Vorausgegangen war ein wahrer Verhandlungsmarathon – mit einigen Kuriositäten am Rande.

Sie stehen im Atrium des Konrad-Adenauer-Hauses und loben das Werk, das die Grundlage ihrer neuerlichen Zusammenarbeit sein soll: Horst Seehofer, Angela Merkel, Martin Schulz – drei Politiker aus drei Parteien mit einem Ziel: weiterregieren. Man kann es auch anders formulieren, wie Schulz es tut: „Wir wollen die Lebensumstände der Menschen verbessern.“ So kann man auch die Mindestanforderung an Politiker beschreiben. Es ist 14.40 Uhr, und in der CDU-Zentrale beginnt eine Pressekonferenz, auf die seit Wochen gewartet wird. Es ist der Augenblick, an dem sich endlich eine Perspektive erkennen lässt, nach den vielen großen und kleinen Runden, den Spitzentreffen, Vorstandsklausuren, Schaltkonferenzen, Gremienbesprechungen und all den Unterredungen unter vier, acht, sechzehn Augen. Wie ein zäher Brei erscheinen rückblickend die Wochen seit der Bundestagswahl. Das Aus der „Jamaika“-Verhandlungen war eine Enttäuschung für viele, die Aussicht auf eine Neuauflage der großen Koalition riss kaum jemanden mit. Vor allem die Sozialdemokraten, die sich eigentlich einem Erneuerungsprozess in der Opposition unterziehen wollten, kämpften mit sich. Nun steht der SPD-Vorsitzende Martin Schulz auf dem Podium und lobt den Koalitionsvertrag, weil er „eine sozialdemokratische Handschrift“ trage. Die Meinungen darüber sind geteilt. Der erste, der Zweifel an dieser Sichtweise sät, wenn auch mit Augenzwinkern, ist CSU-Chef Seehofer. Das mit der sozialdemokratischen Handschrift sei wohl eine Sache, die man beim Politischen Aschermittwoch noch einmal diskutieren sollte. Seehofer wirkt als einziger gelassen und ehrlich erleichtert. „Basst scho“, sagt er zum Koalitionsvertrag, was für einen Bayern wohl ein sehr großes Lob ist. Kanzlerin Merkel spricht von einer „neuen Dynamik für Deutschland“ – und strahlt das Gegenteil aus. Sie sehen alle müde aus, übernächtigt vom Sitzungsmarathon. Schulz spricht von den kürzesten Koalitionsverhandlungen, die man in Deutschland je erlebt habe. Das ist formal richtig, aber realistisch betrachtet ausgemachter Quatsch: Die tagelangen Sondierungen im Vorfeld müssen mitgezählt werden, dann sieht die Bilanz weniger rosig aus. Aber zurückblicken will jetzt keiner. Es geht voran, das sieht man zwar nicht in den Gesichtern der Akteure auf dem Podium, aber auf denen der Zaungäste. Neben den über 100 Journalisten im Saal lauschen auch Unions- und SPD-Politiker der Pressekonferenz. Hubertus Heil, ewiges Talent der SPD, wird kein Minister, man sieht es ihm an. Er steht bedröppelt da und weit hinten. Aus der Traum. In einer anderen Ecke des Atriums macht sich Malu Dreyer auf den Weg. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin hat für die SPD-Seite in der Arbeitsgruppe Gesundheit mitverhandelt. Sie weiß: Der erhoffte Einstieg in die Bürgerversicherung wird nicht kommen, sondern nur eine Kommission, die darüber beraten soll. Das sei dennoch eine kluge Lösung, sagt sie. Es sei alles recht kompliziert. Links neben der Bühne schwätzen CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner so laut miteinander, dass Merkel ihnen einen bösen Blick zuwirft. Das stört die beiden nicht. Dobrindt in typischer Körperhaltung – verschränkte Arme vor der Brust – lächelt süffisant vor sich hin. Klöckner strahlt. Zu diesem Zeitpunkt ist schon durchgesickert, dass sie von Mainz nach Berlin wechselt. Sagen will sie dazu nichts. Das sei alles noch reine Spekulation, lässt ihr Pressesprecher ausrichten. Klöckner scheint glücklich zu sein, Ministerin zu werden. Schulz strahlt dieses Gefühl nicht aus. Obwohl er das Amt des Außenministers übernimmt, wirkt er zerknirscht und krampfhaft bemüht, dem Publikum die erwähnte „sozialdemokratische Handschrift“ zu erklären. Es ist ein bitterer Moment für ihn: In der CDU-Zentrale bekommt er Fragen zu seinem Rücktritt vom SPD-Parteivorsitz gestellt. Schulz gibt keine Antwort, verweist auf eine spätere Parteivorstandssitzung und gibt seine Entscheidung dann am Abend in der SPD-Zentrale bekannt. Die Kleiderordnung muss halt stimmen. Ermattet sind auch die Journalisten, einige von ihnen haben die vergangenen 24 Stunden im Konrad-Adenauer-Haus verbracht. Spätestens gestern um 10.32 Uhr war jedem klar: Der Koalitionsvertrag steht. Denn um diese Zeit verlässt Angela Merkels schwarze Staatskarosse die Tiefgarage des Konrad-Adenauer-Hauses. Für die Beobachter in der CDU-Parteizentrale hatten sich in den Stunden davor zuweilen kuriose Szenen abgespielt. Zum Beispiel diese: Dienstagabend, gegen 21.15 Uhr. Plötzlich Bewegung im und vor dem Konrad-Adenauer-Haus. Eine ganze Schar von CDU-Funktionsträgern verlässt die Parteizentrale, darunter CDU-Vize Julia Klöckner und Daniel Günther, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Warum? Sie sagen nichts. Sie beißen sich auf die Lippen. Überhaupt haben sich die Großkoalitionäre erstaunlich diszipliniert an ihr Schweigegelübde gehalten. Wenige Minuten nach dem CDU-Auszug treffen plötzlich SPD-Unterhändler ein. Alles, was bei den Genossen Rang und Namen hat, strömt herbei – ebenfalls sehr wortkarg. Die Schwarzen gehen, die Roten kommen. Was läuft hier? Zwischendurch grantelt SPD-Vize Ralf Stegner: „Der Fortschritt ist eine Schnecke.“ Spekulationen machen die Runde, Gesichtszüge der Unterhändler werden gedeutet, Wortfetzen auf mögliche Bedeutung abgeklopft. Dabei geht der an die Journalisten gerichtete väterliche Rat des CSU-Finanzpolitikers Hans Michelbach, selbst schon im Mantel und auf dem Weg in seine Wohnung, ganz unter: „Geht nach Hause, geht schlafen. Es wird sehr, sehr lange dauern.“ Michelbach sollte recht behalten. Vermutlich sehr lange dauern wird es auch, bis CDU-Chefin Angela Merkel ihrem Parteivolk plausibel erklärt hat, warum Sozialdemokraten und Christsoziale bei der Verteilung der Ressorts die Filetstücke bekommen haben, die CDU sich dagegen mit eher unattraktiven Ministerien abmühen muss. Ironisch twitterte der nordbadische Bundestagsabgeordnete Olav Gutting: „Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt!“ Der CDU-Wirtschaftsrat ist fassungslos: „Für die CDU ist die Ressortverteilung ein miserables Verhandlungsergebnis“, sagt Generalsekretär Wolfgang Steiger der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der südpfälzische CDU-Mann Thomas Gebhart (Jockgrim) räumt ein: „Es tut mir besonders weh, dass wir das Finanzressort abgeben mussten.“ Der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Christian Baldauf (Frankenthal) überhört diskret die Frage, was er denn von der Ressortverteilung halte. Schweigen ist auch eine Art Kommentar.

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