Kolumne: Ich sag’s mal so ’ne Bekannte von mir hält Mittelaltermärkte für die Pest

mittelalter kopie

In Zweibrücken ist am Wochenende Kindertag mit Mittelaltermarkt. Diese Kombination dürfte besonders die Händler erfreuen. Unser Autor kann davon ein Lied singen.

Oh, es ist wieder Mittelaltermarkt. Da muss ich immer dran denken, wie ich einst mit einem Kind unter Schwertmaß (wie es dort immer heißt) auf so einem Markt war und der Fünfjährige auf Teufel komm raus eine hölzerne Streitaxt wollte. 15 Taler sollte sie kosten, und 15 Taler kostete sie mich. Ich hätte feilschen müssen, wie das vor 1000 Jahren auf dem Markt üblich war. Aber ich bin da wohl einfach zu deutsch und zu wenig römisch-deutsches Kaiserreich.

Die Streitaxt war so lange interessant, bis der junge Recke auf der Heimfahrt einschlief. Ein Vierteljahr später habe ich sie unter dem Beifahrersitz rausgezogen. Ihr Besitzer hat mittlerweile eine eigene Wohnung, und als er auszog, nahm er fast alles mit, was er besaß. Das elende Häuflein, das im leeren Kinderzimmer zurückblieb, bestand aus einer CD der Boyband Big Time Rush, zwei Murmeln, einem Panini-Sammelalbum zur Fußball-WM 2010 mit nur vier äußerst schludrig eingeklebten Stickern, drei davon nicht korrekt im vorgegebenen Rahmen, einer staubigen Socke mit dem Krümelmonster drauf und einer hölzernen Streitaxt.

Ritter ohne Pferd und Knappe? – Geht gar nicht!

Diese Streitaxt ist auch anderthalb Jahrzehnte später das Erste, woran ich denken muss, wenn ich das Wort Mittelaltermarkt höre. Das Zweite ist eine Bekannte, die vor noch längerer Zeit einmal erzählt hat, wie sehr es sie stört, dass diese Märkte das Geschehen im Mittelalter ja gar nicht korrekt abbilden. Sie ist selbst eine begeisterte Rollenspielerin, aber Mittelaltermärkte hält sie – Achtung, Brüller-Wortspiel – für die Pest. Ihr einziges Argument: Da verkleiden sich Leute als Ritter, aber sie haben gar kein Pferd und keinen Knappen dabei. Obwohl doch früher jeder Ritter einen Knappen und ein Pferd gehabt habe.

Grundsätzlich liebe ich ja eine solche Detailversessenheit. Mir ist es aber ziemlich wumpe, ob die Leute nun mit oder ohne Pferd über den Goetheplatz laufen. Dabei kann ich selbst ein großer Erbsenzähler sein. Gerne zähle ich auch jede Erbse ein zweites und ein drittes Mal, um sicherzugehen, dass ich ja nur keine Erbse ausgelassen habe. Bei meiner morgendlichen Yoga-Meditation zum Beispiel schaffe ich es fast nie, richtig loszulassen. Nicht weil mir der Alltag zu sehr im Kopf rumgeht. Sondern weil ich mir vorstellen soll, ich sei irgendwo draußen und sähe, wie langsam die Sonne aufgeht. Und sofort kreisen meine Gedanken darum, ob dort, wo ich mich gerade wähne und wo ich hinblicke auch tatsächlich Osten ist. Falls nicht müsste ich ja gedanklich erst einmal umziehen und auf die andere Seite der Insel laufen, um wirklich den schmalen Streifen am Horizont sehen zu können. Bis dahin ist „Der perfekte Start in den Tag“ rum.

Zombiefilme haben bitteschön realistisch zu sein

Oder Filme. Es kann die spannendste Geschichte sein. Ich kann mir 80 Minuten lang das Nagelbett blutig beißen, aber wehe am Ende brauchen die Helden nur fünf Minuten für eine Autofahrt, von der ich genau weiß, dass sie in echt mindestens acht Minuten dauert: „So ein doofer Film! Sowas von un-re-a-lis-tisch!“ Das gilt selbst für Filme, die von vornherein ganz offensichtlich nicht darauf angelegt sind, realistisch zu wirken. „The Walking Dead“. Toll! Zombies? Menschen, die als Untote auferstehen? Kein Problem! Aber wehe da schießt einer sieben Mal mit einem Magazin, in das nur sechs Patronen passen!

Da beruhigt es mich ja, dass ich bei Mittelaltermärkten Fünfe gerade sein lassen kann. Allerdings frage ich mich, warum man ausgerechnet eine Zeit feiert, die von Entbehrungen und einer – sagen wir mal – eher starren Herrschaftsstruktur geprägt war (um nicht die Vorurteile vom dunklen Mittelalter auszupacken, weil ich keine Lust habe, Leserbriefe von verärgerten Marktbeschickern zu beantworten). Wir feiern ja auch keinen Nordkoreamarkt oder sowas in der Art.

Zu verkaufen: Streitaxt aus Holz, wie neu

Ich wünsch’ dem Markt aber ganz viele Besucher und tolles Wetter! Falls jemand noch eine hölzerne Streitaxt braucht: Ich hätte eine zu verkaufen. Wie neu! Zehn Euro. Festpreis!

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