Speyer Von A wie Abwasser bis P wie Polder

Neuhofen. So, lieber Einwohner der neuen Verbandsgemeinde Waldsee, wer soll denn nun dein Verbandsbürgermeister werden? Kandidat eins: ist 57 Jahre alt, regiert seit zehn Jahren Altrip und ist polderstreiterfahren. Er kämpft gegen Wildbauten und für Erschließungsbeiträge an der Blauen Adria. Er fährt gerne Motorrad und ist oft mit seinem Rauhaardackel an der frischen Luft unterwegs. Kandidat zwei: ist 64 Jahre alt, hat 30 Jahre Erfahrung als Verbandsbürgermeister in Waldsee, kennt Frisch- und Abwasserpreise auswendig und denkt gar nicht daran, sich in den Ruhestand zu verabschieden, weil er seiner Meinung nach supergute Gene hat. Er ist außerdem handwerklich begabt und fußballbegeistert. Oder ist es Kandidat drei: Er ist 47 Jahre alt, schafft es in drei Stunden um das neue Verbandsgemeindekonstrukt zu joggen und fühlt sich fit genug, um vier Gemeinden zu einer Einheit mit Wir-Gefühl zu schmieden. Der Versicherungsfachmann aus Neuhofen ist sich sicher, dank Aikido alles in den Griff zu kriegen. Vor Jürgen Jacob (parteilos), Otto Reiland (CDU) und Andreas Seibert (SPD) schiebt sich jetzt aber keine Trennwand hoch, und ihnen gegenüber wird gleich keine nette Blondine oder rassige Brünette auf einem Barhocker sitzen. Sie sind trotz dieser Zusammenfassung à la Susi nicht bei der Fernsehshow Herzblatt, sondern bei der RHEINPFALZ-Podiumsdiskussion zur Kommunalwahl. Sie sitzen im Neuen Hof in Neuhofen rund 400 Leuten gegenüber, um sie von sich zu überzeugen. 400 von 19.614 Wahlberechtigten, die am 25. Mai an die Urne treten dürfen. Und mit was versuchen die drei im Einzelnen zu punkten? Otto Reilands Taktik ist es, sich entschieden und fachkompetent zu zeigen. Für ihn ist ganz klar Waldsee der richtige Name für die neue Verbandsgemeinde. „In 97 Prozent der Fälle ist es doch so, dass die Konstrukte den Namen der Sitzgemeinde annehmen.“ Seine Mitbewerber setzen bei der Namensfindung eher auf den Bürgerwillen und damit auf einen Bürgerentscheid. Reilands Beweis, dass er als Bürgermeister was kann: Er hat wichtige Zahlen im Kopf, zum Beispiel die Wasserpreise. Dann geht es um die Abwasserpreise, die auch nach der Fusion zunächst in Altrip, Neuhofen, Waldsee und Otterstadt noch unterschiedlich bleiben werden. „Denn man kann den Schlauch nicht einfach umhängen“, sagt Jürgen Jacob. So leitet Altrip sein Schmutzwasser zur BASF-Kläranlage. Von Neuhofen fließt es nach Limburgerhof und von Waldsee nach Speyer. Und damit ist die Kandidatenrunde bei einer zentralen Frage: Wie gleich werden die vier Ortsgemeinden später mal sein? Während die beiden derzeit schon amtierenden Bürgermeister stärker die Teile des neuen Konstrukts einzeln ins Visier nehmen – Reiland ist sich sogar sicher „ein VG-Gefühl wird nicht aufkommen“ – will Andreas Seibert als Verwaltungschef Identität stiften. „Ich sehe die große Chance, aus der neuen Verbandsgemeinde eine Nummer im Vorderkreis zu machen.“ Koordinieren ist sein Stichwort – ob bei der Alten- und Jugendarbeit oder beim Ideensammeln, wie Bürger mobiler werden, ohne ins eigene Auto zu steigen. „Wir könnten zum Beispiel über Carsharing reden.“ Doch egal, wie Jacob, Reiland und Seibert das mit der neuen Einheit sehen – sicher ist, über kurz oder lang muss aus drei Verwaltungsapparaten einer werden. Knackpunkt: Noch gibt es drei Büroleiter, drei Ordnungsamtsleiter, drei Kämmerer. „Es gibt in allen drei Verwaltungen gute Mitarbeiter. Aber nur einer kann jeweils Abteilungsleiter werden. Ich werde Gespräche mit allen führen“, sagt Jacob. Gleiches versprechen Reiland und Seibert und sehen sich vor einer „Mammutaufgabe“ stehen. Dieser fühlt sich Jacob gewachsen. Er will damit punkten, dass er den Altriper Polderstreit bis vor den Europäischen Gerichtshof getragen hat. Dass er ein Neubaugebiet so platziert, dass ein Brückenbau von Ludwigshafen über Altriper Gemarkung nach Mannheim unmöglich wird. Und dass er den wilden Wochenendhausbau an der Blauen Adria geregelt hat: „Das, was steht, bleibt. Aber größer als 50, 70 Quadratmeter darf kein Haus werden“, sagt Jacob. Seibert ist die Legalisierung der Bauten ein Dorn im Auge: „Aus Naherholungsflächen dürfen keine Baugebiete werden.“ Damit beginnt aber nicht etwa eine Diskussion auf der Bühne. Bei den meisten Themenfeldern – Naherholung: schwierig, weil teuer, Polder: schwierig, weil er Altrips Insel-Lage verschärft – sind die drei sich so ein-ig, wie Altrip, Neuhofen, Waldsee und Otterstadt eine Einheit werden. Gut, zwei spielen auf alte Hasen. Sie setzen auf Erfahrung. Einer spielt auf jung-dynamisch und setzt auf Unvoreingenommenheit. Aber Streitlust kommt nicht auf. Auch nicht nach einer Szene aus dem Stück „Die schää Verbandsgemää“ – obwohl die vier Heimatvereine der künftigen Ortsgemeinden die Inszenierung mit Vorurteilen gespickt haben. Doch auch das wird in der Posse klar – egal, ob jemand aus Altrip, Neuhofen, Waldsee oder Otterstadt kommt: Alle halten sich für tolerant, weltoffen und barmherzig.

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