Speyer „So eine Art Ekelfaszination“

„Die Liebe ist ein seltsames Spiel“: Unter diesem Motto gestalten Literaturwissenschaftler Rainer Moritz und Musiker Michael Beutelspacher am Donnerstag, 2. Oktober, 20 Uhr, im Historischen Ratssaal Speyer eine Reise in die Welt des Schlagers. Unsere Mitarbeiterin Anne Kirchberg hat mit Moritz gesprochen.

Wie ist Ihre Liebe zum Schlager entstanden?

Ich habe in meiner Jugend wohl die falschen Lieder gehört, denn ich konnte mich nicht für die Rolling Stones oder Alice Cooper begeistern. Stattdessen lauschte ich in den 1970er Jahren aus rätselhaften Gründen Bernd Clüver mit „Der Junge mit der Mundharmonika“ sowie den Liedern von Mary Roos und Jürgen Marcus. Und was man in seiner Jugend getan hat, das lässt einen nicht mehr so schnell los. Manche distanzieren sich mit der Zeit von ihrem jugendlichen Musikgeschmack… Ja, aber bei mir ist so eine Art Ekelfaszination entstanden. Ich habe Germanistik studiert und bin gerne der Frage nachgegangen, wie man einen guten Text erkennt und warum ein Gedicht von Ingeborg Bachmann besser ist als ein Text von Helene Fischer. Viele Germanisten neigen dazu, den Schlager in die Ecke „Kitsch“, „trivial“ und „Opium fürs Volk“ zu stellen. Wer genauer hinschaut, muss allerdings fragen: Warum ist das so? Hierfür muss man sich die Texte genauer ansehen sowie sich mit den Interpreten beschäftigen und merkt, wie sehr der Schlager ein Aussagemedium über unsere Gesellschaft ist. Diesen Aspekt werde ich am Abend in Speyer immer wieder einfließen lassen. Wie erklären Sie sich denn Helene Fischers Erfolg? Ich schreibe momentan viele Artikel über dieses Phänomen, weil, seitdem sie mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am Brandenburger Tor aufgetreten ist, sich sogar die Feuilletons für Helene Fischer interessieren. Schaut man auf die Lieder, hat sie weiterhin den gleichen Komponisten, weshalb die Rhythmen und Texte keinen Deut anders sind als die Schlager der 1980er oder 1990er Jahre. Da erklingt die klassische heile Welt des Schlagers. Aber Helene Fischer hat es verstanden, sich als Entertainerin und Samstagabend-Moderatorin zu präsentieren. Sie turnt auf Bühnen in adretten Kleidchen und mit einer sexy Ausstrahlung herum, die noch im Rahmen des Züchtigen ist, so dass niemand etwas dagegen einzuwenden hat. Dadurch wird sie zu einer voll akzeptierten Künstlerin, gegen die niemand etwas sagen kann. Sie ist in gewisser Weise ein Gesamtkunstwerk – und trotzdem hat das Phänomen einen irrationalen Moment. Was unterscheidet Fischer beispielsweise von Andrea Berg? Andrea Berg war in den letzten Jahren auch sehr erfolgreich, und ihre CD „Best Of Andrea Berg“ hielt sich länger in den deutschen Charts als jede andere Platte zuvor. Trotzdem muss man gnadenlos sagen, dass Berg 20 Jahre älter und bei weitem nicht so moderationsfähig ist wie Helene Fischer. Bei einer Show zu ihrem Bühnenjubiläum gab sie in einer Fernsehsendung eher hilflose Ansagen ans Publikum, das kann Helene Fischer besser. Sie hat etwas Verbindliches, das niemandem wehtut. Deswegen wirbt sie auch für ein klinisch sauberes Produkt wie Kräuterbutter. Zieht sie auch Sänger wie Andreas Gabalier in ihrem Erfolgssog mit? Das muss man vielleicht von einem anderen Blickwinkel aus betrachten: Seitdem die angloamerikanische Musik in den 1980er Jahren verbreitet wurde, war es für den Schlager enorm schwer. Viele Sänger sind darum in die Volksmusik abgewandert, weil sie dort bei Karl Moik oder Caroline Reiber bessere Fernsehmöglichkeiten sahen. Aber es gibt immer wieder diese berühmten Ausnahmen, und dazu gehört für mich Gabalier. Man kann nicht genau definieren, ob es Schlager oder Volksmusik ist. Spannend wird diese Frage, wenn man erfolgreiche deutsch singende Gruppen wie Ich + Ich oder Silbermond betrachtet, die sich nie als Schlagersänger bezeichnen würden. Und nennt man Herbert Grönemeyer so, könnte man ihn wohl wunderbar beleidigen. Wie präsentieren Sie die Schlagermusik in Speyer? Ich habe Physiker Michael Beutelspacher vor vielen Jahren nach einem Fußballabend kennengelernt, den ich in einer Speyerer Buchhandlung veranstaltete. Als wir bei einem Wein zusammensaßen, gab er zu erkennen, dass er in seiner Freizeit gerne als Christian Anders auftritt. Deshalb bastelte ich ein neues Programm, das sich auf Liebesschlager fokussiert. Ich erzähle während der zwei Stunden Schwänke aus der Schlagerwelt, zitiere Kurioses und spiele einige CD-Beispiele. Herr Beutelspacher gibt acht bis zehn Schlager zum Besten, darunter natürlich „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“. Wir sind mit dem Programm bereits einige Male aufgetreten, und auch in Speyer wird das bestimmt ein lustiger Abend.

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